Weitere Anmerkungen zu einer absurden Behauptung
Im ersten Teil wurde die absurde Behauptung von Alice Weidel, „Hitler war Kommunist“, mit relevanten Aussagen des „Führers“ der NSDAP zum „Nationalsozialismus“ (im Folgenden als Kürzel NS) konfrontiert. Hitler hat die NSDAP unmissverständlich als Garanten des Privateigentums auch an Produktionsmitteln präsentiert und den Vertretern der Wirtschaft versichert, die bestehende (kapitalistische) Wirtschaftsordnung nicht anzutasten.
Da Hitlers sonstigen Aussagen und Ausführungen zu Wirtschaftsthemen nur bedingt ergiebig sind, sollen nun erweiternde Erklärungen zum Wirtschafts- und Sozialismusverständnis des NS angefügt und im Kontext der Karriere des Begriffs der „Totalität“ beleuchtet werden. Daran schließen sich Analysen und Einschätzungen zur faktischen Wirtschaftspolitik der Nazis an. Weiter wird die politisch wie analytisch bedeutsame Erweiterung der „Totalitarismustheorie“ um die Ökonomie rekonstruiert und die Weiterentwicklung bis hin zur „Sozialen Marktwirtschaft“ skizziert. Überlegungen zum Verhältnis des heutigen „Autokratismus“ zum Nationalsozialismus und Faschismus bilden den Abschluss.
Staat und Wirtschaft im Nationalsozialismus im Zeitalter der „Totalitäten“
In „völkischen Kreisen“ und Teilen der „Konservativen Revolution“ war nach dem Ersten Weltkrieg die Idee einer „ständestaatlichen Ordnung“ ein präferiertes Wirtschaftsmodell als Alternative zum liberalen Kapitalismus. In Mussolinis Faschismuskonzept war der nach Berufen geordnete Ständestaat ein Eckpfeiler der Wirtschafts- und Sozialordnung. Großen Zuspruch erhielt das maßgeblich von dem Österreicher Othmar Spann (Spann 1923 sowie 1930) entwickelte und propagierte Konzept in seinem Heimatland vor allem in konservativ-katholischen Kreisen und den „Austrofaschisten“. Auf entschiedene Ablehnung traf es bei den Nazis, deren selbsternannter Chefideologe Alfred Rosenberg erteilte Spanns Ständestaatsideen eine vernichtende Abfuhr. Er bezichtigte ihn sogar, mit seinem „universellen“ Ansatz den zu überwindenden Liberalismus durch die Hintertür wieder einzuführen. (Rosenberg 1933, 695 f.) Die Nazis schätzten Spann so sehr, dass sie ihn verhaften ließen
Wie sich dagegen der NS die „Überwindung des Klassenkampfes“ vorstellte, verriet das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 30. Januar 1934. (Wehler 2003, 614) Dieses zum ersten Jahrestag der „Machtergreifung“ erlassene „sozioökonomische Grundgesetz des Regimes“ (Wehler ebd.) ersetzte das 1919 vereinbarte Legien-Stinnes-Abkommen. Das wurde benannt nach den Verhandlungsführern Carl Legien für die Gewerkschaften und dem Unternehmervertreter und Stahlindustriellen Hugo Stinnes. Die Basis dieser damals wegweisenden Erneuerung nach der Novemberrevolution und der Gründung der ersten demokratischen Republik in Deutschland war die wechselseitige Anerkennung der Interessengegensätze von Kapital und Arbeit, als deren Vertreter die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände nun als legitime Interessenvertreter für Lohnverhandlungen sowie Arbeitsregelungen galten.
Dieses System ersetzte Hitlers „Volksgemeinschaft“ durch das neue Prinzip der „Betriebsgemeinschaft“. Gemeinschaft hieß weder Teilhabe noch Mitbestimmung bei Unternehmensentscheidungen, sondern die Einführung des in allen gesellschaftlichen Bereichen gleichlautenden Organisationsparadigma von „Führer und Gefolgschaft“. Die Unternehmer waren darin als die „Führer“ die Herren, die Arbeiter als „Gefolgschaft“ die „Knechte“. Die schon zum 1. Mai 1933 verbotenen Gewerkschaften wurden durch das Konstrukt der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) ersetzt, die sich vornehmlich der regulierten „Freizeitgestaltung“ widmete. Das Streikrecht wurde abgeschafft, stattdessen erhielten im April 1934 die „Führer“ über die Bestimmung der Arbeitsorganisation hinaus noch das Recht – was auch als Pflicht zu interpretieren war –, „staatsfeindliche Betätigungen“ von Arbeitern mit fristloser Entlassung zu ahnden. (Wehler 2003, 615)
Das sich hier offenbarende Geheimnis der NS-Volksgemeinschaftsideologie, als „Rasse“ allen anderen überlegen und deshalb „Herrenrasse“ zu sein, aber zugleich innerhalb dieser auserlesenen Rasse in der „Volksgemeinschaft“ mit enormen hierarchischen Abstufungen leben zu müssen, musste natürlich auch irgendwie erklärt werden. Ansätze dazu, wie das in der „nationalsozialistischen Wirtschaftsauffassung“ begründet wurde und was daran nun „sozialistisch“ sein sollte, finden sich in einem schmalen Buch Die Gestalt des deutschen Sozialismus von Ernst Rudolf Huber aus dem Jahre 1934. (1)
Das Spezifikum des „deutschen Sozialismus“ im Unterschied zur sozialistischen Arbeiterbewegung sieht Huber ausgerechnet im Verständnis des Eigentums. „Der deutsche Sozialismus erkennt das Eigentum als Urform des menschlichen und wirtschaftlichen Lebens an. Er will also nicht das Eigentum an den Produktionsmitteln aufheben, wie es der Marxismus erstrebte.“ (Huber 1934, 22) Statt des dort anvisierten „Gesellschaftseigentums“ baut sich der „deutsche Sozialismus auf dem eigentümlichen Besitz des einzelnen auf“, aber er „merzt das Privateigentum“ zugunsten eines „Gemeineigentums“ aus. Dem liberalen Begriff des „Privateigentums“ bescheinigt er eine „Sinnverkehrung des echten Eigentumsbegriffs.“
„Eigentum besagt, daß der einzelne über einen Herrschaftsbereich verfügt, zu dem die von ihm ererbten und erworbenen Güter gehören. Privateigentum bedeutet darüber hinaus, daß der einzelne mit diesen Gütern nach willkürlichem Belieben, ohne Rücksicht auf die gemeinen und politischen Interessen schalten und walten kann“. In dieser privaten Willkür der Verfügungsgewalt liege der Kern des liberalen Eigentumsbegriffs, und diesen „bindungs- und verantwortungslosen Charakter des Eigentums“ lehne der „nationalsozialistische Begriff des Eigentums“ ab, weil er den „besitzenden Mensch“ zur „verantwortlichen Verwaltung des Eigentums gegenüber Staat und Volk verpflichtet“. Aber das heiße nicht, dass das „Gemeineigentum“ deshalb in die Hand des Staates und der Gesellschaft überführt werden müsse, sondern verlange stattdessen seine „verantwortliche Bindung gegenüber der Lebensgemeinschaft des Volkes.“ (Huber 1934, 23) Mit dieser Begründung konnte man Juden als „Volksfremde“ enteignen und deren Eigentum „Artgenossen“ übergeben.
Huber sieht die Bestimmung der Wirtschaft nach nationalsozialistischen Prinzipien vor allem im Kontext eines grundlegenden „Strukturwandels“ in der realen Wirtschaftsorganisation der Gegenwart. Was in anderen Theoriebezügen als „Monopolkapitalismus“ oder als „Organisierter Kapitalismus“ (so Rudolf Hilferding, der Autor des Buches Das Finanzkapital und sozialdemokratische Finanzminister) diagnostiziert wurde, mündet für Huber ohne weitere begriffliche Klassifizierung in der Feststellung, dass es die „freie, private Wirtschaft im liberalen Sinne“ nicht mehr gebe.
Schon bald nach dem Ende des Weltkrieges stellte der 1922 von Rechtsradikalen als Jude ermordete Außenminister und frühere Chef der AEG sowie „Organisator der Kriegswirtschaft“ im Jahre 1915 Walter Rathenau, der politisch ein Liberaler war, fest, dass der „Wirtschaftsliberalismus nur noch Folklore“ sei. Dass die Monopolisierung, die Verbindungen zwischen privaten und öffentlichen Strukturen wie auch die Zunahme von Planungselementen einen Strukturwandel des Kapitalismus bedeuteten, war mehr oder weniger Konsens. Diese Entwicklung erbrachte wie Huber richtig erkannte, zwar keine „Planwirtschaft“ im strengen Sinne, aber eine effektive Zunahme von Planungsformen. Und das werfe die Frage auf, wer diese Planung, die ja nach den Erkenntnissen des den Nazis freundlich gesonnenen Soziologen Hans Freyer Herrschaft konstituiere (Freyer 1933), bestimme. (Huber 1934, 8)
Aus diesem ungeplanten Strukturwandel folgt für Huber die Erkenntnis, dass der „liberaldemokratische Parteienstaat“ zu einer erforderlichen „wirtschaftlichen Führung niemals imstande sein“ könne, weil mehr als „Kompromisse verschiedener Interessengruppen“ von ihm nicht zu erwarten seien. (Huber 1934, 11) Für Huber offenbart sich hier im Anschluss an seinen Lehrer Carl Schmitt das Kernproblem und die tiefe Krise der „pluralistischen Staats- und Gesellschaftslehre des Liberalismus“, die den Staat, den angeblichen Hüter des Gemeinwohls, zur Beute der mächtigsten Interessen mache. Was Liberale auch als „offene Gesellschaft“ feierten, war für andere nur ein „Interessenhaufen“ in dem sich die ökonomisch Mächtigsten durchsetzen.
Für den NS lautet die Konsequenz: „Nur der autoritäre Staat kann aufbauende, gestaltende Wirtschaftspolitik treiben.“ (Huber 1934, 11 sowie im gleichen Tenor Carl Schmitt 1930, 1931 und 1932) Gegen den liberalen Totalitätsanspruch der Gesellschaft und ihren Interessengruppen über den Staat hilft im Dienst des Volkes nur die Herrschaft des „totalen Staates“ über die Gesellschaft. (Huber 1934, 12) Das ist der entscheidende Punkt der Umkehr von der Totalität der Herrschaft der liberalen Gesellschaft über den Staat zur totalen Herrschaft des Staates über die Gesellschaft und ihre Einzel- und Gruppeninteressen.
Was die Forderung des totalen Staates gegen die Totalität der Gesellschaft für die „Wirtschaft“ konkret heißen sollte, entwickelte Carl Schmitt 1932 in einem Vortrag vor Industrievertretern etwas kryptisch, als er eine „starke Wirtschaft und einen starken Staat“ forderte. Die Eigentumssphäre bleibt unangetastet. Ansonsten kommt aber der Primat der Politik gegenüber der Ökonomie zum Vorschein. Die Interessen der Wirtschaft werden nicht beeinträchtigt, wenn sie sich in den Dienst des politischen Willens stellt.
Der totale Staat als Problem und der „Begriff des Politischen“
Was heißt aber nun „totaler Staat“? Der renommierte Staats-, Verfassungs- und Völkerrechtler Carl Schmitt brachte als politische Lehre dafür eine Erklärung, die seitdem einen umstrittenen, aber festen Platz in der politischen Ideengeschichte hat. Der Ausgang ist ein neuer Begriff des „Politischen“, den er schon 1927 entwickelt hatte. Im Unterschied zur herrschenden Lehre der vorhergehenden Jahrhunderte, die Politik mit staatlichem Handeln gleichsetzte, dreht Schmitt zeitgemäß das Verhältnis mit dem Satz um, dass der Begriff des Staates vielmehr den Begriff des Politischen voraussetze.
Da das „Politische“ aber keinen spezifischen Gegenstand als Wirkungskreis hat und deshalb alles zum Gegenstand der Politik werden kann, bedarf es eines besonderen Kriteriums für die Bestimmung des Politischen. Leichter nachvollziehbar wird diese Folgerung durch den einfachen Hinweis, dass der Begriff Politik immer mehr in Verbindung mit anderen Bereichen als Wirtschafts-, Sozial-, Gesundheits-, Bildungs-, Kulturpolitik usw. auftritt, deren Verbindungen zur Politik zuvor undenkbar waren. Alles Mögliche kann nun Gegenstand des Politischen werden. Da sich das Politische nicht aus einem eigenen Objektbereich bestimmen lässt, bedarf es besonderer Kriterien, wodurch es sich von anderen Sphären unterscheidet.
Schmitt zieht nun einen Vergleich zu solchen Sphären wie der Ethik, die sich über die Unterscheidung von Gut und Böse definiere oder zur Ästhetik, die „Schön von Häßlich“ trenne und zur Ökonomie, die „Nützliches vom Schädlichen“ scheide und kommt dann zu dem spektakulären Schluss: „Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“ (Schmitt 1932a, 26)
Die tiefere Ergründung dieser sehr umstrittenen und nahezu Bibliotheken füllenden Begriffsbestimmung führt in das Verhältnis von Krieg und Politik, die wir hier auf sich beruhen lassen. Wichtig ist, dass der totale Staat auf einem Begriff von Politik fußt, der alles zum potenziellen Gegenstand der Politik werden lässt, also keine „privaten“ Schutzräume mehr akzeptiert und alles in Freund-Feind-Verhältnisse verwandelt. Noch interessanter ist nun, dass der „totale Staat“, den die Nazis in der Phase der „Machtergreifung“ und Machtsicherung propagierten, nicht das letzte Wort im Machtgefüge des NS war, denn mit dem Totalitätsanspruch des Staates handelte man sich nicht nur „weltanschaulich“ neue Probleme ein.
Betrat man mit der Hervorhebung des Staates als politisches Machtzentrum nicht einen Raum, den man doch eigentlich überwinden wollte? Gehörte der Staat, also auch der Nationalstaat, nicht zu jenen „Errungenschaften“ des Liberalismus mit all seinen „ambivalenten“ rechtlichen Regelungsfluten, die letztlich mehr Begrenzung als Gestaltungsfreiheit und mehr Lähmung als Dynamik mit sich bringen? Gesetze ermöglichen und begrenzen das Handeln zugleich, das ist das „Gesetz“ des liberalen Rechtsstaates. War also der Staat als substanzielle politische Kategorie nicht Feindesland? Und wenn dem Staat als Institution alle Macht übergeben würde, was wird dann aus der „Bewegung“, aus der „Partei“ als Vollstreckerin des „Volkswillens“? Für die innere Konsolidierung des NS-Systems konnte der institutionelle Verweis auf den Staat nur eine Episode sein. Er war nützlich, um den Propagandisten und Erwartungen einer zweiten, einer „braunen Revolution“ in Gestalt der SA und ihren Führungsansprüchen im Reich, verbunden mit ihren „sozialen“ Forderungen klare Grenzen zu setzen.
Zur Beruhigung der Befürchtungen der Reichswehr bezüglich der Stellung der SA im Staat wie auch gegenüber der „Privatsphäre“ der Wirtschaft war der sogenannte „Röhm-Putsch“ am 30. Juni 1934, also die faktische Ausschaltung der SA als konkurrierendes Ordnungsorgan zum Staat und ihre Degradierung zur militärischen Freizeitgestaltung, eine situativ absolut erforderliche Machtabsicherung des „Führerregimes“ im Namen des Staates. Danach begann sich allerdings die Tonlage zum Thema „Staat“ zu verändern.
Alfred Rosenberg hatte in seinem Mythos des 20. Jahrhunderts“ schon ganz im Sinne Hitlers verkündet, der „Staat ist uns heute kein selbständiger Götze mehr“, denn er „ist nicht einmal ein Zweck, sondern er ist auch nur ein Mittel zur Volkserhaltung“ wie die Kirchen und andere Institutionen. „Staatsformen ändern sich und Staatsgesetze vergehen, das Volk bleibt.“ Somit ist die „Nation“ als „das Volk“ das Erste aus dem alles folgt und wer das nicht anerkennt, ist dann eben ein „Feind des Volkes.“ (alle Zitate Rosenberg 1933, 526 f.)
Aber selbst Rosenbergs Verweis auf das „Volk“ als letzte „Legitimationsinstanz“ hatte keinen Bestand. Dass der totale Staat seine „weltanschaulichen“ Grenzen hat, wenn er sich auf das „Volk“ beruft, stellte der Verfassungsrechtler Ernst Forsthoff fest. Forsthoff verwies darauf, damit bewege man sich letztlich noch im Rahmen der Demokratietheorie Rousseaus und deren Lehre von der Identität der Regierenden und Regierten. Das aber könne nicht das Verständnis des NS sein, denn es sei nicht das „Volk“, auch nicht als Ethnie wie bei Rosenberg, das die Autorität verleihe. „Autorität setzt einen Rang voraus, der darum gegenüber dem Volk gilt, weil das Volk ihn nicht verleiht, sondern anerkennt.“ (Forsthoff 1933, 29)
Was aber ist nun die letzte legitimierende Instanz nationalsozialistischer Herrschaft? Es war der lernfähige und erfindungsreiche Carl Schmitt, der die Weiterentwicklung der politischen „Lehre“ des NS übernahm und der den praktischen Konflikt zwischen den Machtaspiranten Staat, Partei, Führer und Bewegung auflöste, indem er die „Trinität“ Staat, Bewegung, Volk als „unterschieden, aber nicht getrennt; verbunden, aber nicht verschmolzen“ in eine Formel fasste, die einer politischen Theologie alle Ehre macht. (Schmitt 1933, 21) So wurden alle Elemente des NS-Herrschaftssystems wie in der christlichen Trinitätslehre in eine Einheit gefasst, nur dass hier allein in der Figur des „Führers“ die Einheit von Staat, Bewegung und Volk verkörpert wird. Hinzufügen müssen wir allerdings, dass diese etwas abstrakt-theoretischen „Rationalisierungen“ die „Bewegung“ nicht ernsthaft interessierten. Heraus kam die populäre Losung: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“ Diese „Dreifaltigkeit“ verstand offenbar jede und jeder.
Die NSDAP war keine „Programmpartei“. Sie berief sich auf eine gemeinsame „Weltanschauung“, die aber nirgends systematisiert und ausformuliert wurde. Das war nach deren verquerer Logik auch gar nicht möglich, weil paradoxerweise damit der „Führer“ in ein Korsett geschnürt worden wäre, das ihn vom „Charismatiker“ zu einen ausführenden Funktionär eines vorgegebenen Systems entwürdigt hätte.
Da die „Weltanschauung“ einem willkürlichen Konglomerat von Glaubenssätzen glich, dessen letzte Instanz der Führer war, wundert es nicht, dass es für die Organisation der Wirtschaft keine durchstrukturierte Vorstellung gab. Der NS war auch keine soziale Bewegung, der in der Realisierung sozialer und ökonomischer Interessen sein Heil und Ziel sah. Seine Träger verstanden sich als „Männer der Tat“, die nicht nach vorher ausdiskutierten Plänen zweckrational handelten, sondern schlimmstenfalls ihren Taten im Nachhinein einen rechtfertigenden Sinn gaben. Ihr Ziel war der Kampf selbst als Daseinsaufgabe und als Lebensinhalt, der kein endliches Ziel als ewige Ruhe kannte.
Dem scheint aber zu widersprechen, was wir im ersten Teil dargelegt haben.
Dort wurde die „Wirtschaft“ als ein Lebensbereich hervorgehoben, der im ursprünglichen Parteiprogramm von 1920 von Gottfried Feder einen vergleichsweise breiten Raum einnimmt. Aber dieses Programm spielte innerhalb der Bewegung seit der Mitte der zwanziger Jahre faktisch keine Rolle mehr. Der inhaltliche Streit um den „Sozialismus“ des NS mit dem sogenannten „Strasser-Flügel“ wurde auf der für die Parteigeschichte wichtigen Bamberger Tagung im Januar 1926 nicht mit einer inhaltlichen Klärung in der Sache entschieden, sondern dadurch, dass Hitler als der alleinige „Führer“ anerkannt wurde.
Hitler interessierte sich für wirtschaftliche Fragen an sich wenig. Wirtschaft war für ihn – und damit für die Bewegung – ein Bereich, der eine dienende Funktion hatte.
Es ging keinesfalls um Strukturveränderungen, nur um Funktionsveränderungen. Nicht die Wirtschaft bestimmt die Politik, sondern umgekehrt. Das war die Kernbotschaft. Franz Neumann hatte schon 1944 Hitlers Kompass für die praktische wirtschaftliche Orientierung klar analysiert: Zunächst die Vollbeschäftigung und dann die Ausrichtung an den Erfordernissen einer Kriegswirtschaft, die man natürlich nicht den Launen des Marktes überlassen konnte. Das waren die sich aus dem Primat der Politik ergebenden Vorgaben unmittelbar nach der Machtergreifung. (Neumann 1944, 284)
Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass es zwischen den beiden konträren Interpretationen der NS-Wirtschaftspolitik in der Forschung, der NS sei über ein „Konglomerat konfuser Ideen verschiedenen Ursprungs“ (Wolfram Fischer) nie hinausgekommen und der These, mehr sei auch weder erforderlich noch möglich gewesen, da der Wirtschaft eigentlich keine eigene Sphäre zugestanden werden konnte, außer dass sie ganz und gar den vorgegebenen Zwecken der Kriegsführung dienstbar gemacht wurde, keine Verbindungslinie gab. Es ging nicht um eine spezifische „Ordnungsvorstellung“, sowenig der „Volksgemeinschaft“ irgendein „Ideal“ außer dem „Kampf ums Dasein der germanischen Herrenrasse“ zu Grunde lag. Es ging letztlich um ein noch unfassbares „Mehr“, um einen bevorstehenden „Endkampf um die Weltherrschaft der germanischen Rasse oder ihren Untergang“.
Die Wirtschaftspolitik der Nazis im Vergleich
Statt vergebens nach Prinzipien, Vorstellungen oder Zielen zu suchen, gingen viele Forschende einen anderen Weg. Sie beobachteten die faktische Wirtschaftspolitik des NS an der Macht im Vergleich mit anderen Ländern, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise zwar nicht identischen, aber doch ähnlichen Problemen ausgesetzt waren. Da diese Wirtschaftspolitik die wesentliche Begründung für die Gleichsetzung von NS und dem Kommunismus als „Totalitarismus“ ist, wollen wir sie weiterverfolgen. Da Hitler und seine Führungscrew sich nicht von ökonomischen Lehrmeinungen leiten ließen, erscheint die NS-Praxis zumindest als unorthodox.
Ob sie deshalb auch als revolutionär zu bezeichnen ist, wie Rainer Zitelmann behauptete, dürfte zu viel des Guten sein. Ein Vergleich mit Krisenlösungen in anderen Ländern zeigt, dass der „Führer“ und seine Gefolgschaft hier relativ pragmatisch ähnliche Wege beschritten wie ihre verhassten Kontrahenten. Der Unterschied lag nicht in der Methodik selbst, sondern eher in der Intensität und Radikalität der Maßnahmen. In der Summe liegt der wesentliche Unterschied darin, dass die Nazis ihr Krisenlösungsprogramm mit einer gezielten Aufrüstung und Vorbereitung einer Kriegswirtschaft verbanden, die bei den Vergleichsstaaten erst später einsetzte. Auffallend ist, wie sehr die Aufrüstung nicht nur in Deutschland vorerst zum ökonomischen Krisenlöser wird.
Die ökonomischen Spätfolgen verschwinden dann in den Wirren des Krieges. Eine neuere umfangreiche Analyse der NS-Wirtschaftspolitik von Adam Tooze, die einer eigenen Würdigung bedürfte, stützt diese These weitgehend (Tooze 2007, 62 ff.). Sie verweist aber auch darauf, dass die Bedeutung des Instruments der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch deshalb überschätzt würde, weil ein Aufschwung schon vor der „Machtergreifung“ einsetzte, der den neuen Machthabern nun nutzte und von ihnen als ihr Verdienst beansprucht und von vielen Seiten auch zugesprochen wurde.
Für die NS-Wirtschaftspolitik gelten insbesondere die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als ein Erfolgsprojekt. Sie waren keine Erfindung der Nazis, sondern ein Erbstück der verhassten Vorgängerregierungen von Papen und Schleicher. Sie waren Teil einer „Globalsteuerung“ der Wirtschaft durch den Staat, also zunächst einmal eine direkte Absage an die liberale Marktgläubigkeit und die restriktive Finanzpolitik des vorherigen Reichskanzlers Brüning von der Zentrumspartei.
Was heute die Schuldenbremse ist, war schon damals die Lehre vom ausgeglichenen Staatshaushalt, an der er festhielt. Strenggenommen war „Wirtschaftspolitik“, d.h. das aktive Eingreifen des Staates in den Wirtschaftsprozess aus liberaler Sicht ein Irrweg an sich und widersprach allen Wirtschaftslehren jenseits des Marxismus. Untätigkeit war aber mit zunehmender Dauer und Verschärfung der Krise ebenfalls keine Lösung. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 wurde so immer mehr zu einer Krise der liberalen Wirtschaftsideologie und schließlich zu einer langanhaltenden Krise des Liberalismus insgesamt, weil er auf die faktische Widerlegung seiner Dogmen keine innovativen Antworten fand.
Hans-Ulrich Wehler hat die NS-Wirtschaftspolitik als eine dem Primat der Politik unterworfene Steuerung charakterisiert, die weit über die Kriegswirtschaft von 1916 bis 1918 hinausging. Er betont aber zugleich, dass das Prinzip des Privateigentums unangetastet blieb und es somit keine prinzipiell neue Wirtschaftsordnung, sondern lediglich einen sehr viel intensiveren politischen Interventionismus in das Wirtschaftsgeschehen gab, was aber eben auch dem Formwandel zum „totalen Krieg“ geschuldet war. (Wehler 2003, 691 f. ebenso Neumann 1944, 284))
Alle ab dem Sommer 1934 ergriffenen Maßnahmen fanden sich in keinem Lehrbuch. Die expansive Kreditschöpfungspolitik stand, aus politischen Gründen gegenüber dem Ausland in verdeckter Form, im engen Zusammenhang mit einem umfassenden Aufrüstungsprogramm. Der Vorteil lag in der zeitgleichen Stärkung der Binnenkaufkraft, die so zu einer Erweiterung des Konjunkturprogramms führte. Hier liegt die Besonderheit, die den Unterschied ausmachte gegenüber vergleichbaren Versuchen der britischen und amerikanischen Regierungen. Denn der lag in dem Volumen und der Adressierung. In den USA erfolgte die Wirtschaftsankurbelung im Rahmen des New Deal fokussiert auf den Zivilsektor.
Frappierend war der Erfolgsunterschied. 1936 herrschte im Nazi-Reich fast wieder Vollbeschäftigung, was weder in den USA noch in Großbritannien gelang. Einschränkend muss aber erwähnt werden, dass das nicht allein das Verdinest der NS.-Politik war, denn ein ökonomischer „Aufschwung“ setzte – wie obenerwähnt – schon vor der Machtergreifung ein. Und 1937 erlitten die USA und Großbritannien mit einem erneuten Konjunktureinbruch sogar noch einen Rückschlag. Gleiche Beobachtungen lassen sich auf Frankreich und Japan übertragen, die ihre Vollbeschäftigung verspätet in dem Maße erlangten, wie die Rüstungsindustrie angekurbelt wurde. (Herbst 1993, 156 f.) Der Unterschied bestand darin, dass in Deutschland Arbeitsbeschaffung und Rüstungspolitik von Beginn an zeitlich parallel liefen und sich so ergänzten, während sie in USA, Großbritannien und Frankreich zeitlich auseinanderfielen. (Herbst 1993, 158)
Als einen weiteren Vorteil Deutschlands wertet Ludolf Herbst die Bilateralisierung der deutschen Außenhandelspolitik, die angesichts des Zusammenbruchs des Welthandels nach der Weltwirtschaftskrise dem NS-Imperativ der Autarkiewirtschaft entgegenkam. Da Hitler Deutschlands Stärke nicht – wie der 1929 verstorbene langjährige nationalliberale Außenminister der Weimarer Republik Gustav Stresemann forderte – über den Eintritt in den Weltmarkt wieder herstellen wollte, interessierte ihn die Wiederbelebung des Welthandels als eine Voraussetzung der Überwindung der Wirtschaftskrise in Deutschland auch nicht. Die Kehrseite war allerdings auch eine Politisierung dieses bilateralen Außenhandels, die insbesondere die Agrarpolitik betraf. Für eine funktionsfähige Kriegswirtschaft galt sie für Hitler als der wichtigste Erfahrungswert des Ersten Weltkrieges, die Sicherstellung der unabhängigen Selbstversorgung mit Lebensmitteln der Bevölkerung war die unabdingbare wirtschaftliche Vorgabe.
Die ökonomische Erweiterung der „Totalitarismustheorie“
Der Hang zum „Totalitären“ nach dem Ersten Weltkrieg, der seinen Ausdruck findet im „totalen Krieg“, „totaler Staat“ und der „totalen Mobilmachung“ des gesamten Volkes, ist weder der Ausgangspunkt noch Gegenstand der politisch einflussreichen „Totalitarismustheorie“, deren Anfänge in die 1930er Jahre zurückreichen. Ihre politische Karriere erlebte sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Windschatten des Kalten Krieges. Ihre inhaltliche Ausdifferenzierung, ihre verschiedenen Schwerpunkte – man denke etwa an Hannah Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, die Anfang der 1950er Jahre zuerst in den USA und dann 1955 in der BRD erschienen – können hier nicht Gegenstand werden.
Hier geht es auch nicht primär um jenen Aspekt, der immer noch ihren Wesensgehalt ausmacht. Das ist die strukturelle Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus aus der normativen Perspektive einer westlichen parlamentarischen Demokratie auf der Basis eines liberalen Rechtsstaates. Diese „liberale Demokratie“ ist die Messlatte der Gemeinsamkeiten für das, was totalitäre Regime auszeichnet. Heute finden wir dieses Konstrukt in der Gegenüberstellung von „liberalen Demokratien“ und „autoritären Regimen“ (auch „Autoritarismus“ genannt).
Die daraus abgeleiteten politischen Kampfformen (und „Freund-Feind“-Definitionen) von „rechtsextrem gleich linksextrem“, wo die „Mitte“ als Extremform leer ausgeht und deshalb die Mitte ist, und „rot gleich braun“ wird, all das bleibt hier ausgeklammert. Wir konzentrieren uns auf jenen Aspekt, der die Wirtschaftsordnung in die Totalitarismusdiagnose sogar als ihr wesentliches Element einbezieht.
Der Reigen des „Totalitarismusverdachts“ wurde mit explizitem Bezug auf die Freiheit der Wirtschaft in den 1930er Jahren eröffnete. Prominentester Vertreter war Walter Lippmann. Er war der einflussreichste Publizist in den USA. Mit seinem Buch The Good Society aus dem Jahre 1936 wurde er zu einem der führenden Köpfe der später „Neoliberalismus“ genannten Denkschule.
Er diagnostizierte in der Art der Krisenbekämpfung in den dreißiger Jahren einen freiheitsgefährdenden Trend zum „Kollektivismus“. „Kollektivismus“ war hier das Äquivalent für alle massiven Eingriffe des Staates in den Wirtschaftsverkehr. Die Maßnahmen gegen die überall grassierende Massenarbeitslosigkeit zählte Lippmann genauso dazu wie die von ihm kritisierten sozialpolitischen Maßnahmen des „New Deal“ in den USA unter Präsident Roosevelt.
Für Lippmann war die wirtschaftliche Freiheit ein wesentlicher Teil der Freiheit überhaupt. Sein Buch hieß dieser Mission entsprechend in der deutschen Übersetzung programmatisch korrekt Die Gesellschaft freier Menschen. Ohne wirtschaftliche Freiheit gibt es keine Freiheit, das war das Hauptmotiv seiner Streitschrift gegen den „Kollektivismus“ und wurde der Auftakt für eine Neubestimmung des Liberalismus.
Das analytische Problem ist, dass aus dieser Perspektive alle politischen und staatlichen Maßnahmen der Krisenbekämpfung in der Folge der Weltwirtschaftskriese von 1929 einem einheitlichen Ordnungstypus unterworfen werden. Die von John Maynard Keynes Mitte der dreißiger Jahre theoretisch in seinem Meisterwerk Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes begründeten „antizyklischen“ Staatseingriffe in den Wirtschaftskreislauf erscheinen aus dieser Sicht nicht als „Rettung am Krankenbett des Kapitalismus“, sondern als Beerdigung einer liberalen Wirtschaftsordnung. Neoliberale waren zuallererst Antikeynesianer.
Dennoch wandelte sich für die Erneuerung des Liberalismus die Bedeutung des Staates. Der klassische „liberale Nachtwächterstaat“ wurde für eine zentrale Funktion aufgegeben: er avancierte zum „Hüter der Wettbewerbsordnung“. Wettbewerb ist die Herzkammer des Liberalismus und der Grund für alle Segnungen, die daraus an Wohlstand etc. folgen. Der Wettbewerb ist nicht alles, aber ohne ihn ist alles nichts. Problem ist nur, dass der Markt keine Sportveranstaltung ist, wo man seine Konkurrenten als Gegner braucht, damit man überhaupt siegen kann. Der Markt lebt zwar vom Wettbewerb, aber nicht für ihn.
Die Akteure sehen in ihren „Mitbewerbern“ keine erhaltenswerten Gegner an denen man sich misst, sondern Konkurrenten, die ihnen Marktanteile und damit Profite abnehmen. Die Folge ist, dass kein Akteur im „Wettbewerb“ versucht, seine „Mitbewerber“ zu erhalten, damit er Gewinner werden kann, sondern versucht sie als konkurrierende Marktteilnehmer auszuschalten, sei es durch dessen Ausscheiden oder durch Übernahme. Diese stimulierende Rationalität jedes Einzelakteurs hat zur Folge, dass das System sich permanent selbst aushebelt und gefährdet.
Der Drang zum Monopol ist letztlich das rationale Ziel aller Akteure und damit die Logik des Systems, das damit seiner Selbstaufhebung entgegen geht. Gegen diese, der Marktwirtschaft immanente Paradoxie, entsteht die rettende Idee, dass hier der Staat als ordnende Instanz rechtlich dafür sorgen muss, dass Monopolbildung verhindert und permanenter Wettbewerb garantiert wird. Das ist die neue Staatsidee der liberalen Marktwirtschaft, die in Deutschland als „Ordoliberalismus“ nach dem Zweiten Weltkrieg Karriere machte.
Die Geburt der „sozialen Marktwirtschaft“ als Antitotalitarismus
Eine nationalsozialistische Wirtschaftslehre im eigentlichen Sinne gibt es zwar nicht, aber die neoliberale Kritik am „Kollektivismus“ durch Lippmann erfuhr eine Erweiterung vor allem durch Friedrich August von Hayek (Hayek 1944) und anfangs sehr einflussreich durch Wilhelm Röpke aus dem Schweizer Exil. (Röpke 1942) Dem außerhalb Deutschlands wenig bekannten Walter Eucken war es vorbehalten, die wirtschaftstheoretische Neuordnung vorzunehmen. Er unterschied „idealtypisch“ zwei Ordnungsprinzipien: Unter dem Label „Zentralverwaltungswirtschaft“ als Oberbegriff fasste er die „totalitären Planwirtschaften“ der Sowjetunion und des Nationalsozialismus zusammen, denen es im Unterschied zur „freien Verkehrswirtschaft“ an Märkten mit freier Preisbildung als ökonomisches Regulativ von Angebot und Nachfrage ermangelt. (Eucken 1950 und insgesamt dazu Haselbach 1991)
Der Erkenntnisgewinn dieser Kategorisierung von Wirtschaftstypen ist umstritten, der politische Gewinn dagegen groß. Der besteht darin, dass man den negativ besetzten Begriff des Kapitalismus umschiffen konnte. Für die Neuordnung der Gedankenwelt im Postnazi-Deutschland erwies sich das als sehr hilfreich. Die neben der politischen auch ökonomisch hergestellte „Wesensgleichheit“ von NS und Kommunismus erleichterte es dem real-existierenden Kapitalismus, als „Verkehrswirtschaft“ oder als „Marktwirtschaft“ das Erbe der überkommenen Wirtschaftsstruktur im Westen anzutreten und die alten Verhältnisse unter neuer Bezeichnung zu restaurieren.
Der politische Gewinn zeigte sich schon unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft. Den meisten (politisch wachen) Zeitgenossen waren die engen Verbindungen „der Wirtschaft“, personifiziert in den Stahlbaronen, Industriebossen und den großen bekannten Unternehmen und Konzernen wie z.B. die IG Farben mit dem Nazi-Regime und ihre Verwicklungen in die Verbrechen des NS, wenn auch nicht im Detail bekannt, so doch verdächtig. Dieser „Verdacht“ wurde durch die Anklagen in den Nürnberger Prozessen bestätigt und verstärkt.
Kaum etwas demonstriert diese Stimmungslage deutlicher als das „Ahlener Programm“ der CDU von Februar 1947. Dort wird explizit auf die enge Verbindung von NS und Kapitalismus, der den „Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden sei“, Bezug genommen. In den „Düsseldorfer Leitsätzen“ von Juli 1949 wurden solche kritischen Töne, mittlerweile als ein Relikt des „christlichen Sozialismus“ entwertet, auch auf Betreiben Konrad Adenauers durch ein Bekenntnis zur „Marktwirtschaft“ ersetzt. (Gurland 1953, 138 – 169)
Das besondere Problem war in Westdeutschland, dass eine „freie Marktwirtschaft“ – auch als Ersatz für das „Unwort“ Kapitalismus (in den angelsächsischen Ländern gab es diesen Bezeichnungspurismus nicht) – hier noch um das Adjektiv „sozial“ erweitert werden musste. Das hatte handfeste politische und ideologische Gründe. Die sich neuformierende „bürgerliche Mitte“ mit der CDU als Sammlungspartei – weder konservativ noch liberal, aber von beidem etwas – sollte nicht nur den Konfessionskonflikt überwinden. Für eine erweiterte Machtperspektive als „Volkspartei“ brauchte sie eine Verbindung zur ehemaligen Zentrumspartei als Exponent des politischen Katholizismus, die zusätzlich eine Öffnung in und für die „nicht-sozialistische“ katholische Arbeiterschaft bot.
Obwohl sich mit der Teilung Deutschlands im verbliebenen Westteil der relative Anteil der Katholiken an der Staatsbevölkerung enorm erhöhte, standen einer Reaktivierung der Zentrumspartei aus der Weimarer Republik mindestens zwei Gründe entgegen. Erstens wäre die drohende Konfessionalisierung der Politik zu Lasten einer starken einheitlichen „bürgerlichen Mitte“ wiederbelebt worden. Zweitens hatte das Zentrum wie alle anderen Parteien der Weimarer Republik, außer der SPD und KPD, durch ihre Zustimmung zum „Ermächtigungsgesetz“ im März 1933 mit ihrer Selbstaufgabe den Weg in die „totale Herrschaft“ der Nazis „freiwillig“ geebnet. Keine dieser Parteien wurde nach dem Krieg wiedergegründet.
In die Fußstapfen einer solchen historischen Erblast zu treten, versprach keinen politischen Gewinn, zumal sich die CDU auch als Teil des christlichen Widerstandes gegen Hitler verstand. Die Integration der katholischen Arbeiterschaft in eine überkonfessionelle bürgerliche Sammlungsbewegung wurde anfangs zwar ob des Gelingens skeptisch betrachtet, aber andererseits war es ein verlockendes Experiment, das allerdings einen Preis hatte. Durch den Verzicht auf ein Parteiprogramm konnten zwar viele grundsätzliche Probleme entschärft werden, aber die liberale Wirtschaftsausrichtung musste mit der „Katholischen Soziallehre“ kompatibel gemacht werden.
Historisch betrachtet waren die beiden Lehren feindliche Gegensätze. Aus der Sicht der Katholischen Soziallehre gehörte der Liberalismus noch zu den päpstlich verordneten „Irrlehren der Moderne“, die es zu bekämpfen galt. Das hier nicht zu vertiefende Wunder der Überwindung gelang durch das von Alfred Müller-Armack entwickelte Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“. (Müller-Armack 1948 sowie Gurland 1953 und Haselbach 1991)
Deren Entwicklung und unterschiedlichen politischen Interpretationen in der alten BRD sind eine Geschichte für sich. Festzuhalten bleibt, dass der daraus entstandene Sozialstaat als tragende institutionelle Säule mit dem Ende des „Traums von der ewigen Prosperität“ in den siebziger Jahren ins Fadenkreuz des wiedererwachenden „marktorientierten Liberalismus“ geriet, der in der „sozialen Anspruchsinflation“ wie in den dreißiger Jahren „Auswüchse des Kollektivismus“ und sozialistische Ansätze erkannte. Diese Kritik führte zu einer erneuten Phase eines „Neoliberalismus“, der uns mit seiner Marktgläubigkeit beflügelt durch die Globalisierung die Finanzkrise bescherte und nach der Analyse vieler Sozial- und Politikwissenschaftler einen erheblichen Anteil an der gegenwärtig um sich greifenden Rechtsentwicklung hat.
Renaissance des „Totalitarismus“ heute?
Die weltweiten Erfolge rechtsextremer Parteien und die Vermehrung autoritärer Regime wecken Befürchtungen einer drohenden Wiederkehr des Vergangenen. Unser Ausflug in die dunkelste Phase der deutschen Geschichte sollte zumindest als Abfallprodukt deutlich machen, wie viel Vorsicht geboten ist, den heutigen „Autokratismus“ mit Nazismus oder Faschismus gleich zu setzen. Wir reden hier nicht mehr von den „Klassikern“ dieses „Autokratismus“, von Putins Russland und China. Das Neue ist sein Einzug in die einstige „freie“ Welt der „liberalen Demokratien“.
Der Sieg dieser politischen Form im selbst ernannten Land der Freiheit, der ältesten und angeblich institutionell bestens abgesicherten Demokratie der Neuzeit, der zweite Sieg Trumps in Amerika, ist die eigentliche Zäsur.
Was sich hier abzeichnet ist nur in Ansätzen klar erkennbar. Die USA sind das Zentrum eines weltweiten Zuges rechtsextremer Bewegungen, die von hier offen hofiert und unterstützt werden. Sie alle haben in ihrem ideologischen Gepäck die gleichen längst überwunden geglaubten Grausamkeiten, deren Liste sich stetig verlängert. Nationalismus gepaart mit offenem Rassismus, Gleichwertigkeit aller Menschen ist Vergangenheit. Die Einheit der Menschheit, die sich gemeinsam um ihre Zukunft auf dem beschädigte und bedrohten Planeten Erde im Interesse des Überlebens der Gattung kümmert, das war einmal.
Das ist alles extrem alarmierend, aber es gilt auch hier klaren Kopf zu bewahren. Nirgends ist bislang im „Westen“ ein Regimewechsel durch einen Militärputsch oder durch andere Formen der Gewalt erfolgt. Möglicherweise sind digitale Plattformen mittlerweile gefährlicher als Waffen. Es gibt Unmengen, entschieden zu viele Wählerinnen und Wähler für politische Machtwechsel mit den Mitteln der Demokratie gegen deren Grundlagen. Aber nirgends sehen wir aktive Massen als „selbstlos“ kämpfende „Weltanschauungstruppen“, die einem Führer oder einer Führerin blinde Gefolgschaft leisten.
Diese Massen ähneln in ihrer Mehrheit eher einem Mob, wo jeder nur für sich und seine unmittelbarsten Interessen kämpft und Gemeinschaft nur bis zum eigenen Vorteil reicht. Für einen „totalen Staat“ und alle anderen „Totalitäten“ bis hin zum Krieg sind diese Horden so wenig empfänglich wie für vernünftige Argumente. Ganz im Gegenteil! Der Staat interessiert sie nicht, hier sind sie die nützlichen Idioten jener Oligarchen, die sie eigentlich hassen, aber als ihre Helden des Reichtums vergöttern. Sie sind das politische Fußvolk für die Realisierung deren Träume von der Befreiung staatlicher Bevormundung in ihrer grenzenlosen wirtschaftlichen Freiheit, ohne jene bürokratische Flut von Auflagen, die für sie der Demokratie geschuldet sind. (s. dazu Slobodian 2023)
Das wütende Volk entmündigt sich selbst und verschafft einer neuen Oligarchie, die sich fürs Volk nicht interessiert, einen Machtzuwachs, der dem Volk voraussichtlich für die Lösung seiner Alltagssorgen und Lebensprobleme eher deren Vermehrung als eine Besserung bringen wird. Alles was die Tec-Oligarchen an Problemlösungen für die Zukunft anbieten, ist: Technik! Technologie ist die Wunderwaffe für alles und Utopieersatz dazu. Wie dieses Volk auf die Schmach, das seine diffusen Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht werden, reagieren wird, ist unkalkulierbar und das zweite Risiko. Und es gibt in diesen Parteien und Bewegungen neben den „Libertären“ auch Anhänger einer Wiederbelebung „völkischer“ Ansätze, deren Nähe zum NS wesentlich größer ist.
Ob sich daraus faschistische oder nationalsozialistische Bewegungen entwickeln, die dem Begriff nach ihren historischen Vorläufern gerecht werden, lässt sich momentan nicht abschätzen. Angesichts der absehbaren Zunahme von Unsicherheiten und neuen Konfliktlinien ist nur sicher, dass viele vertraute Antworten auf die Herausforderungen der Zeit überholt sind und der „Kampf gegen rechts“ nicht daran vorbeikommt, seine Wachsamkeit bei der Verteidigung der Demokratie auch mit der Suche nach neuen Lösungen für die Probleme der Menschen zu verbinden.
Fahnenhalle im „Hitlerhaus“ (vormals Villa Schlikker) in Osnabrueck 1937. Foto: MQ4
Fußnoten
(1) Carl Schmitt gehörte zu den wenigen Wissenschaftlern und Professoren, die ihren Lehrstuhl verloren. Er wurde oft als der „Kronjurist“ der Nazis bezeichnet und war im Dritten Reich und darüber hinaus eine einflussreiche intellektuelle und politische Größe. Seine Kariere erhielt vor dem Kriegsausbruch einen Knick, weil die SS ihn des „Katholizismus“ verdächtigte und er ausgebootet wurde. Nach dem Krieg lebte er zurückgezogen in seinem Geburtsort Plettenberg im Sauerland. Er wurde zur „Pilgerstätte“ seiner zahlreichen Schüler und seines an bekannten Namen reichhaltigen Fan-Clubs, die sich dort zu Seminaren versammelten.
Ernst Rudolf Huber war en Schüler Carl Schmitts und in der Nazizeit ein bedeutender Jurist mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Verfassungsrecht. In der BRD wirkte er weiterhin Professor für Verfassungsrecht und ist Autor einer sieben Bände mit jeweils ca. tausend Seiten umfassenden „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789“, die bis heute nichts Vergleichbares findet.
Auch Ernst Forsthoff war ein Schüler Carl Schmitts, blieb nach dem Krieg an der Heidelberger Universität Professor und ein „bedeutender Verwaltungsjurist“.
Zitierte Literatur
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Schmitt, C. (1933): Staat, Bewegung, Volk. Hamburg
Slobodian, Q. (2023): Kapitalismus ohne Demokratie. Berlin
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