Hans Bodensieck
Pastor mit Mut und Gewissen
„Ich tue es vor Gott und den Menschen mit gutem Gewissen“
von Dieter Przygode
Diese Aussage stammt von Hans Bodensieck, einem evangelischen Pastor an St. Marien in Osnabrück. Bodensieck gehörte dem „Osnabrücker Kreis“ an, einem Zusammenschluss mehrerer evangelischer „Bekenntnis“-Pastoren aus Osnabrück. Sie widersetzten sich den Deutschen Christen, welche innerhalb der evangelischen Kirche versuchten, nach Hitlers Machtübernahme die Bildung einer Reichskirche im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie zu unterstützen.
Hans Bodensieck wurde am 19. März 1881 in Hameln geboren. Seit 1910 war er Pastor in der evangelischen Gemeinde von St. Marien in Osnabrück. Er war verheiratet mit Hedwig Regula, einer Pastorentochter aus Osnabrück. 1919 wurde die Tochter Ursula in Osnabrück geboren. Die Familie wohnte in der Sackstraße 10. (Biografische Daten aus: Collectie Pohlsander und NLA OS Rep 439 Nr. 3463)
Nur kurze Zeit nachdem im Januar 1933 Hitler die Macht übergeben wurde, bildete sich innerhalb der evangelischen Kirche die Bewegung der Deutschen Christen, die sich für die Bildung einer „Reichskirche“ einsetzte. Im heutigen Niedersachsen war einer der führenden Köpfe dieser Bewegung der Landesbischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche, August Marahrens. Auf einer Kundgebung im überfüllten Festsaal am Schloßwall gegenüber dem Ratsgymnasium in Osnabrück rief der Redner den Menschen im Saal zu:
„Auch in der Kirche gibt es eine Reaktion, und diejenigen, die den Schritt der neuen Zeit nicht mitzugehen vermöchten oder meinten, es geschähen nur politische Dinge, hätten nur eine Pflicht zu erfüllen, nämlich möglichst rasch abzutreten. Wenn sie es nicht selbst täten, werde man sie dazu zwingen müssen. […] Wir wollen mehr von der Kirche als Neutralität, wir wollen ein Bekenntnis zu der Bewegung als der letzten Rettung Deutschlands. […] Wer sich gegen das Wollen der Glaubensbewegung Deutsche Christen stellt, der stellt sich gegen den Nationalsozialismus.“ (zitiert nach Karl Kühling, Osnabrück 1933 -1945)
Dies war eine unverhohlene Drohung an diejenigen, die auch nur daran dachten, sich „der Bewegung“ entgegenzustellen. Doch Pastor Bodensieck wie auch seine Mitstreiter (über die im Einzelnen noch in späteren Folgen berichtet wird) für eine von Staat und Partei unabhängige Kirche ließen sich nicht einschüchtern.
„Es wird um die Verantwortung des Menschen viel geredet. Man sagt euch heute wohl, ihr brauchtet nur der Stimme eures Gewissens folgen. Aber euer Gewissen ist nicht Gottes Stimme. Gottes Stimme und Wille ist im Neuen Testament verzeichnet und ist unmissverständlich. Es werden euch heute auch neue Lehren nahegebracht und als Erkenntnis verkündet: die Lehre von der Rasse, die Lehre von Blut und Boden, der Mythos des 20. Jahrhunderts. Was sie euch sagen, ist nicht Gottes Wille, sondern ist Irrlehre!“
Genau diese mutigen Worte rief Pastor Bodensieck von der Kanzel den Zuhörern in der Marienkirche entgegen.
Bei solch klaren Worten war es nicht verwunderlich, dass Bodensieck und seine Kollegen des Osnabrücker Kreises unter Beobachtung der Gestapo standen. Dies umso mehr, als auch zu der Frage der „derzeitigen Bedrückung der Juden“ Stellung genommen wird und offen für den christlich getauften, aber wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgten Pfarrer Leo aus Osnabrück Partei ergriffen wird, dem das Betreten des städtischen Krankenhauses durch den Osnabrücker Oberbürgermeister untersagt worden war. Gerd Steinwascher gibt das Folgegeschehen in seinem Band „Gestapo Osnabrück meldet“ wörtlich wieder.
„Wir werden für ihn tun, was wir können“, hieß es danach in dem Lagebericht der Staatspolizeistelle Osnabrück für den Monat September 1935. Bodensieck kündigte offenbar weiter an, dass es „in der Rassenfrage in der bekennenden Kirche noch zu unumgänglichen grundsätzlichen Auseinandersetzungen mit dem Staat kommen müsse.“
Während wegen eines Rundbriefes an die Pfarrer der Bekenntnisgemeinschaft, in dem sich Bodensieck in scharfer Form gegen die Einsetzung von Kirchenausschüssen ausgesprochen hat, von staatspolizeilichen Maßnahmen abgesehen wird, wird er für die Bekanntgabe von Kirchenaustritten des Regierungspräsidenten und von örtlichen Nazigrößen sowie für seine „unliebsamen Äußerungen über Reichsminister Kerl“ zu einer Geldstrafe verurteilt.
Die oppositionelle Haltung Bodensiecks gegen das Naziregime zeigt sich auch beim Begräbnis des Osnabrücker Ehrenbürgers Siegfried Pelz, der am 26. Juli 1936 verstorben war. Dem „Osnabrücker Tageblatt“ wurde durch einen Anruf der NSDAP untersagt, einen Nachruf auf den „Juden Dr. Pelz“ zu bringen – „und die Redaktion leistete dieser Anweisung widerspruchslos Folge“ schreibt dazu Karl Kühling in seinem Buch „Juden in Osnabrück“ aus eigener Wahrnehmung. Kühlung war zu jener Zeit als Journalist beim „Osnabrücker Tageblatt“ tätig. Dennoch sei die „allgemeine Teilnahme bei der Beerdigung des bis in die letzten Tage von den Parteidienststellen verfolgten, fast neunzigjährigen Geheimrats Pelz ein erschütternder Beweis“ für die Dankbarkeit, die man ihm auch zu jener Zeit noch entgegenbrachte. „[Ein] riesiger Trauerzug, der sich […] vom Krankenhaus zum Hasefriedhof bewegte und ein Ehrengeleit darstellte, in dem auch hohe Beamte der Stadtverwaltung nicht fehlten, erwies Dr. Pelz die letzte Ehre.“
Pastor Bodensieck, Freund des Verstorbenen, war gebeten worden, die Grabrede zu halten. Er kam der Bitte mit Überzeugung nach, was dazu führte, dass die Stadtverwaltung dem Trägerverein der evangelischen Kindergärten ihre Zuschüsse strich, weil Bodensieck als Vorsitzender fungierte. Drei der vier Kindergärten mussten deshalb 1937 an die NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] übergeben werden. (Topografien des Terrors, Das Kreuz unter’m Hakenkreuz – Kirche im NS-Staat, Carsten Linden, Die protestantische Kirche).
Vom Landeskirchenamt erhielt Bodensieck deswegen eine Anfrage, was ihn veranlasst habe, „einen nichtgetauften Juden zu bestatten.“ In seinem Antwortschreiben vom 17. Dezember 1936 schrieb Bodensieck:
„Der nichtgetaufte Jude, bei dessen Beerdigung ich mitgewirkt habe, ist der langjährige Chef des hiesigen Städtischen Krankenhauses, Geheimrat Dr. med. Pelz. Ich habe an der Beerdigungsfeier nicht als Geistlicher der Landeskirche teilgenommen, sondern als Privatmann in schwarzem Rock und Hut und als solcher am Sarge des Verstorbenen in der Kapelle des Stadtkrankenhauses auf Wunsch der zu unserer Landeskirche zählenden Angehörigen und einer Bitte des Heimgegangenen entsprechend den Hinterbliebenen zum Trost ein kurzes Wohlüberlegtes und wie ich glaube, unanfechtbares Wort gesagt.“
Anderenfalls wäre der Verstorbene wie ein Ehrloser begraben worden. Bodensieck ergänzte: „Wenn mir nun dieser Dienst, der meinerseits nicht politisch, sondern christlich begründet war, dennoch politisch ausgelegt worden ist […], so muss ich das tragen. Ich tue es vor Gott und den Menschen mit gute[m] Gewissen.“
(aus der ersten Seite des Antwortschreibens ©Haus am Lechtenbrink Bissendorf-Jeggen, Archiv, Ordner 1, zitiert nach „Topografien des Terrors“)
Hans Bodensieck ist seiner Haltung treu geblieben und hat die christlichen Werte, denen er sich verpflichtet fühlte, gegen die Anfeindungen der Nationalsozialisten und ihrer Helfer verteidigt. Er hat den Krieg überlebt und ist 1953 in Osnabrück gestorben. Hans Bodensieck würde es verdienen, dass man die Erinnerung an ihn, etwa mit einer Stele oder in anderer angemessener Weise, an zentraler Stelle in der Stadt wachhält.
Artikel des ILEX-Kreises zum „Braunen Haus“
Denkschrift ILEX-Kreis als PDF-Datei
Folge 1: Walter Bubert