OR-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ – Folge 18: Luise Lütkehoff

Die OR-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ (am Ende dieses Textes finden sich Links zu allen bislang erschienenen Folgen dieser Serie) widmet sich einem spannenden, aber bisher kaum bekannten Thema: Sie erinnert an mutige Menschen, die sich aktiv dem Naziterror und seinen menschenverachtenden Ideen widersetzt und dafür ihr Leben riskiert haben.

Luise Lütkehoff
Eine mutige Frau gegen Nazi-Schergen

Die L. wurde am 13.02.45 staatspolizeilich verwarnt, weil sie einem mit der Bewachung von Häftlingen betrauten Mann beleidigt und tätlich angegriffen hat.“ So lautet der Eintrag auf der Gestapo-Karteikarte, die im Niedersächsischen Landesarchiv aufbewahrt wird. Was war wenige Monate vor dem Ende des 2. Weltkrieges passiert und wer war diese Frau?

Adrian Eijke (Foto: privat)

Adriaan Eijke aus dem niederländischen Haarlem, war im Dezember 1944 aus dem AEG-Werk in Berlin-Henningsdorf geflohen, wohin er als 19jähriger ein Jahr zuvor zur Zwangsarbeit verpflichtet worden war. Bei Nordhorn an der deutsch-niederländischen Grenze wurde er gefasst und nach kurzer Haft in einem Osnabrücker Gefängnis am Tag nach Weihnachten von der Gestapo dem Arbeitserziehungslager Augustaschacht in Ohrbeck überstellt. Dort wurde er unter dem falschen Namen „Klas Verboom“ registriert, wie der Osnabrücker NS-Forscher Volker Issmer bei seinen Recherchen herausfinden konnte und in seiner Dokumentation „Das Arbeitserziehungslager Ohrbeck bei Osnabrück“ dargelegt hat. Die untergebrachten Arbeitserziehungslager(AZL)-Häftlinge wurden nicht nur in den Werken der Georgsmarienhütte zur Arbeit eingesetzt, sondern auch zu Aufräumarbeiten nach Bombardierungen oder anderen Arbeiten in der Stadt Osnabrück. Im Niedersächsischen Landesarchiv finden sich aber auch entsprechende Anforderungsschreiben, die belegen, dass auch die Stadtwerke Osnabrück über die Gestapo regelmäßig AZL-Häftlinge angefordert haben. Ein Teil der dort eingesetzten Gefangenen hatten beispielsweise in den Rohrnetzbetrieben zu arbeiten oder bei Trümmerräumungen oder Instandsetzungen zu helfen.

Die damals 51jährige Luise Lütkehoff, die in der Gestapomeldung erwähnte „L.“, befand sich an jenem 13. Februar 1945, einem Dienstag, mit ihrer damals 27jährigen Tochter Elli Wendt und deren 4jähriger Tochter Elke auf dem Weg zu einer Freundin. In der Luisenstraße in Höhe des damaligen Stadtwerke-Gebäudes bekamen die drei mit, wie offensichtliche Häftlinge unter den Augen eines zivil gekleideten Aufsehers dabei waren, Zementsäcke von einem Lastwagen abzuladen.

Adriaan Eijke erzählte Volker Issmer später, dass ein Mithäftling ihm einen Zementsack auf die Schultern gewuchtet habe, er aber unter der Last zusammengebrochen, der Sack zu Boden gefallen und zerplatzt sei. Der Aufseher sei auf ihn zugestürmt und habe mit einem Holzknüppel auf ihn eingeprügelt. Die ihm bis dahin noch unbekannten Frauen, eine ältere und eine sehr junge, die zufällig Zeugen des Vorfalls geworden waren, hätten den Aufseher angeschrien.

Nach den Erzählungen von Elli Wendt muss ihre Mutter Luise Lütkehoff den Aufseher gekannt haben. „Solange ich hier stehe, kriegt der Mann keine Schläge mehr“, habe sie den Mann angeschrien. Dieser habe daraufhin mit seinem Stock ihrer Mutter derart heftig auf die Schulter geschlagen, dass der Stock zerbrochen sei. Ihre Mutter habe das aber in ihrer Aufregung gar nicht richtig gemerkt.

Die beiden Frauen und das 4jährige Mädchen seien, vermutlich am Tag darauf, beim Verlassen eines Geschäfts von zwei Männern abgefangen worden. „Mitkommen“, hätten die nach der Erinnerung von Elli Wendt nur gesagt und auf die Frage „Wohin?“ entgegnet: „Das werden sie schon merken.“ Offenbar hatte der Aufseher die Gestapo benachrichtigt, denn die beiden Männer brachten die drei zur Gestapo-Dienststelle im Schloss. Stundenlang hätten sie auf dem Flur warten müssen.

Adrian Eijke habe sich noch am Tage des Vorfalls zur Gestapo im Schloss begeben  müssen, berichtete er Volker Issmer. Offenbar war man zu der Erkenntnis gelangt, dass der niederländische Zwangsarbeiter, der auf 75 Pfund abgemagert war, für die NS-Kriegswirtschaft keinen Nutzen mehr erwarten ließ. „Ich musste mich in dem Gestapo-Gefängnis melden. Dort konnte ich nachts zum Schlafen bleiben und sollte mich am anderen Morgen bei einer Bäckerei in der SA-Straße melden.“  Als er am Morgen das Gebäude verließ, sah er von weitem auf dem Flur die Frauen sitzen, die sich für ihn eingesetzt hatten.

Bei der Vernehmung habe der Gestapo-Beamte ihrer Mutter geraten, „immer einen großen Bogen zu machen, wenn Sie mal wieder so etwas sehen“, wird Elli Wendt in einem NOZ-Bericht zitiert. Er habe eingeräumt, dass Häftlinge in der Öffentlichkeit eigentlich nicht geschlagen werden dürften, aber sie sich auf keinen Fall hätte einmischen dürfen. Luise Lütkehoff, geborene Grote, wurde „staatspolizeilich verwarnt“, wie es auf der von der Gestapo angelegten Karteikarte vermerkt wurde.

Adriaan Eijke wurde von der Bäckerei in Osnabrück zu einem Bauernhof beim damaligen Fliegerhorst in Achmer gebracht. Nach einem kurzen Aufenthalt führte ihn sein Weg weiter an die niederländische Grenze, wo er sich als Niederländer zu erkennen gab und nur in sein Heimatland gelassen wurde, weil er dem Grenzposten den holländischen Namen der Straßenbahn von Haarlem nach Leiden nennen konnte, wie er gegenüber dem Autor 2001 berichtete.

Er habe das mutige Auftreten der Frauen nicht vergessen können und versucht, über sie etwas in Erfahrung zu bringen. Mit Unterstützung des NS-Forschers und Augustaschacht-Experten Volker Issmer, der in seinen Rechercheunterlagen die Kopie der Gestapokarteikarte von Luise Lütkehoff finden konnte, wurde Januar 2001 ein öffentlicher Aufruf in der NOZ gestartet. Daraufhin meldete sich die nunmehr 83jährige Elli Wendt, die „mit Herzklopfen“ den Zeitungsbericht gelesen hatte. Ihre Mutter Luise Lütkehoff, die so couragiert „dazwischengetreten“ war, war leider bereits 1967 verstorben. Im Mai 2001 hat Adriaan Eijke auf Einladung der Volkshochschule Osnabrück seine Geschichte in Osnabrück erzählt und Tochter und Enkelin von Luise Lütkehoff in Osnabrück getroffen, ein sehr emotionaler Moment, wie er bekannte.

Adriaan Eijke mit Elli Wendt und deren Tochter Elke Möller 2001 in Osnabrück (Foto: Gert Westdörp / NOZ 22.05.2001)Adriaan Eijke mit Elli Wendt und deren Tochter Elke Möller 2001 in Osnabrück (Foto: Gert Westdörp / NOZ 22.05.2001)

Volker Issmer schreibt in einem Leserbrief dazu, dass Eijke auf Einladung des damaligen Oberbürgermeisters Hans-Jürgen Fip auch zu einem Mittagessen im Ratskeller eingeladen worden war. Dieses Treffen habe „eine besondere Symbolik“ gehabt, denn Eijke habe im Augustaschacht nach seinem Bericht von zwei Scheiben Brot leben müssen und daher bei seiner Entlassung nur noch 75 Pfund gewogen. „Für ihn sei es daher ein bewegendes Erlebnis gewesen, nun vom Oberhaupt der Stadt, in der er durch Entkräftung und Schläge beinahe sein Leben verloren hätte, mit einem Essen geehrt zu werden“, schreibt Issmer. Adriaan Eijke ist am 12. August 2013 im niederländischen Heemskerk im Alter von 89 Jahren gestorben.

Noch im Jahre 2001 sprach sich der Rat der Stadt Osnabrück dafür aus, eine Straße nach Luise Lütkehoff zu benennen, um damit ihre „mutige Haltung gegen Gewaltanwendung“ zu würdigen. Erst dreizehn Jahre später war es dann soweit: im Baugebiet „Östlich Am Mühlenholz“ in Eversburg erhielt 2014 eine Straßenverbindung zwischen Hase, der Straße Die Eversburg und der Landesgrenze die Bezeichnung „Luise-Lütkehoff-Straße“.

Volker Issmer hat dieses Geschehen in seinem Buch „Fremde Zeit – Unsere Zeit, Teil I“ (2001 erschienen im Geest Verlag) in der Geschichte „Dazwischengetreten“ verarbeitet.



Artikel des ILEX-Kreises zum „Braunen Haus“
Denkschrift ILEX-Kreis als PDF-Datei

Folge 01: Walter Bubert
Folge 02: Hans Bodensieck 
Folge 03: Emil Berckemeyer
Folge 04: Josef Burgdorf
Folge 05: Fritz Bringmann
Folge 06: Anna Daumeyer-Bitter
Folge 07: Erwin Förstner
Folge 08: Ruth Gottschalk-Stern
Folge 09: Heinrich Groos
Folge 10: Gustav Haas 
Folge 11: Frieda Höchster
Folge 12: Ženja Kozinski
Folge 13: Luwig Landwehr
Folge 14: Franz Lenz
Folge 15: Paul Leo
Folge 16: Hans Lücke
Folge 17: Wilhelm Mentrup

spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
Follow by Email
Facebook
Youtube
Youtube
Instagram
Spotify