Lesung zum neuen Band von Bernhard Schulz: „Frieden nicht in Sicht. Ein Lern- und Lesebuch“ im Remarque-Friedenszentrum
Es sollte ein besonderer Abend werden. Dank der Herausgabe des in Visbek angesiedelten Geest-Verlags ist jetzt ein neuer druckfrischer Sammelband des Autoren und früheren OR-Redakteurs Bernhard Schulz (1913– 2003) im Buchhandel erhältlich. Der Titel lautet „Frieden nicht in Sicht. Ein Lern- und Lesebuch“. Der neue Band in A4-Format umfasst Kurzgeschichten, Erzählungen, ausgewählte Feldpostbriefe und erstmals veröffentlichte Weltkriegskarikaturen von Fritz Wolf (1918–2001).
Die stimmungsvolle Lesung am 2. September im Remarque-Friedenszentrum besaß das Zeug dazu, den Auftakt für kommende literarische Begegnungen zu bilden. Interesse ist offenkundig da: Der Saal der Dauerausstellung zu Remarque war gut besetzt. Sie bot mit einer Vita des Osnabrücker Welt-Literaten ein passendes Ambiente, um sich auch Bernhard Schulz als Osnabrücker Autoren zu nähern. Auch Medieninteresse war da. Die OR hatte die Veranstaltung bereits früh angekündigt.
Grußworte zur Würdigung
Bevor Schulz-Sohn Ansgar Schulz-Mittenzwei persönlich aus dem Lebenswerk seines Vaters vorlas, gab es noch Einleitungsworte. Den Beginn machte Dr. Jens Peters, Leiter des Osnabrücker Literaturbüros Westniedersachsen, der den wichtigen Stellenwert von Bernhard Schulz in der regionalen Literaturgeschichte würdigte. Verleger Alfred Büngen vom Geest-Verlag wies sehr engagiert nach, wie brandaktuell die Schulz-Texte vor allem anlässlich der aktuellen Weltsituation seien.
Fritz Wolf: Auch er stand im Mittelpunkt
Auf Marcus Wolf, Neffe des legendären Osnabrücker Zeichners und Karikaturisten Fritz Wolf, kam die gern übernommene Aufgabe zu, einige Informationen über seinen berühmten Onkel sowie über dessen Verhältnis zu Schulz vorzutragen.
Wolf: „Der Zweite Weltkrieg war eine Zeit von unvorstellbarem Leid, Zerstörung und menschlicher Tragödie. Doch selbst in diesen düsteren Jahren gab es Stimmen, die sich nicht zum Schweigen bringen ließen – Stimmen, die durch das Medium der Karikatur und der Kurzprosa scharf, mutig und manchmal mit bitterem Humor auf die Ereignisse ihrer Zeit reagierten. Karikaturen und gesellschaftskritische Texte waren nicht nur Ausdruck des Widerstands oder der politischen Kritik, sondern auch ein Instrument der Propaganda und der Meinungsbildung.“
Überzeugend würdigte Wolf den neuen Sammelband, denn jener vereinige erstmalig eine Auswahl der eindrucksvollsten Karikaturen von Fritz Wolf und der bewegenden Kurzgeschichten von Bernhard Schulz aus jener Zeit. Berichtet werde dabei „von zwei Freunden, zwei Menschen, die den Krieg mit ihren Zeichenstiften und Füllfederhaltern begleiteten und nacherlebten, ihn kommentierten und interpretierten.“
Wolf: „Diese Zeichnungen und Texte sind mehr als bloße Satire; sie sind Zeitdokumente, die die Ängste, Hoffnungen, Propaganda und Widersprüche der Kriegsjahre einfangen.“ Schon zu Lebzeiten habe Neffe Marcus mit großem Interesse die Erzählungen, seines Onkels aus dessen Zeit in Norwegen und Russland (1942-1944) aufgenommen und ihn stets dafür bewundert, dass er das in seinen Karikaturen zum Ausdruck bringen konnte. Wolf:
„Als ältestes von sieben Kinder hat er mit drei weiteren Geschwistern den Krieg überlebt: drei seiner Brüder sind gefallen oder vermisst. In seinen Karikaturen sehen wir nicht nur die verzerrten Gesichter der Diktatoren und Kriegstreiber, sondern auch die Leiden und Herausforderungen der einfachen Menschen. Fritz Wolf bediente sich des Humors, der Übertreibung und der Symbolik, um komplexe politische und soziale Realitäten zugänglich zu machen. So bieten uns diese Werke einen einzigartigen Einblick in die öffentliche Meinung, die politischen Kämpfe und den alltäglichen Überlebenskampf während des Zweiten Weltkriegs.“
Was diese Karikaturen besonders kraftvoll mache, sei ihre Fähigkeit, uns auch heute noch zu berühren. Wolf: „Sie erinnern uns daran, wie wichtig es ist, politische Geschehnisse zu hinterfragen, Machtstrukturen zu entlarven und den Mut zu finden, gegen Unrecht die Stimme zu erheben – auch wenn diese Stimme ’nur‘ ein gezeichneter Strich auf Papier ist.“
Beim Durchblättern dieses Buches werde man feststellen, dass Humor und Satire auch in den dunkelsten Zeiten existieren könnten und oft ein mächtiges Werkzeug der Aufklärung und des Widerstands seien: „Diese Zeichnungen geben uns nicht nur einen einzigartigen Zugang zu den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs, sondern zeigen auch, wie die Kunst der Karikatur als scharfsinniger Spiegel der Geschichte fungiert. Fritz Wolf zeigt uns die Welt durch seine Augen – und manchmal sehen wir dabei mehr, als uns vielleicht lieb ist. Doch genau das ist eben die Kunst der Karikatur: uns nicht nur zum Schmunzeln zu bringen, sondern auch zum Nachdenken anzuregen.“
Wolf freute sich sehr, dass das Buchprojekt realisiert werden konnte und dankte Ansgar Schulz-Mittenzwei für seinen unermüdlichen Einsatz. Und: „Möge dieses Buch den Lesern neue Perspektiven eröffnen und sie zum Nachdenken über die Vergangenheit – und die Gegenwart – anregen.“
Weitere Wertschätzungen
Danach wurde der Sammelband ausführlich und sehr persönlich von Schulz-Sohn Ansgar Schulz-Mittenzwei (Frankfurt a.M.) vorgestellt, indem er wichtige Passagen aus dem literarischen Nachlass seines Vaters vortrug. Er entschied sich dabei vorab, dessen Würdigung durch die renommierte Schriftstellerin Maria Regina Kaiser vorzutragen. Jene hatte ihren Text seinerzeit mit „Pulvergeruch in den Gardinen, Kanonendonner am Horizont“ überschrieben.
Kaiser schrieb unter anderem: „Der Krieg war das große Thema des Osnabrücker Autors Bernhard M. Schulz.(…) Im Laufe seines langen Lebens entstanden neben sieben Romanen etwa 2400 Kurzgeschichten, die in Zeitungen und Anthologien erschienen.“
Zumal das Thema „Krieg“ so vieles überwogen hätte, sei Schulz aus ihrer Sicht wie folgt zu bewerten: „Er war kein kriegsbesessener Jungspund, der es zum Offizier bringen wollte – es gab solche und sie waren schnell unter einem Birkenkreuz begraben. Er sah die leidenden Menschen im angeblichen Feindesland. Kein Zweifel, dass er gelegentlich russischen Kindern Schokolade aus seiner Ration schenkte. Bernhard Schulz blieb Bernhard Schulz.“ Durchaus realitätsnahe war jene Formulierung Kaisers, welche eine zeitlose Schulz-Botschaft werden dürfte.
Gelesene Texte – animierend angedeutet
Es würde den Rahmen dieses Berichts sprengen, ausführlich auf all jene Texte näher einzugehen, die fortan von Schulz-Mittenzwei gelesen wurden. Stattdessen empfiehlt sich unbedingt die Original-Lektüre, zumal wichtige Schulz-Werke mittlerweile wieder – wie das vorgestellte Buch – neu aufgelegt und zu beziehen sind. Oftmals stehen die Bücher dabei auch in Verbindung zu ausgewählten Zeichnungen von Fritz Wolf. Dies wiederum bildete eine Paralelle zur Lesung, bei der Texte stets von exakt passenden Arbeiten von Fritz Wolf begleitet wurden, die allesamt hinter den Vortragenden projeziert waren.
Zu den Texten zählten ein Feldpostbrief an die Frau aus der Vorweihnachtszeit von 1941, die seinerzeit preisgekrönte Kurzgeschichte aus dem Frontalltag „..vier, fünf. sechs, sieben“ von 1948 sowie die Texte „Sie haben den Jungen einiges voraus“ von 1959, „Es war das Wort für Brot“ von 1960, „Ein Fremder am Tisch“ von 1962, „Mein erster Franzose oder so stand es nicht im Lesebuch“ von 1964, „Schicksal in großen Buchstaben“ von 1965 sowie „Latein beim alten Dresbach“ von 1981. Als allerletzte Zeilen verlas Schulz-Mittenzwei einen selbst geschriebenen Text, dessen Hauptaussage sich leicht mit der Überschrift erschließen lässt: „Unerreichbar – mein Vater.“
Untermalt wurde das literarisches Schaffen immer wieder vom georgischen Pianisten Giorgi Dolidze, der wie Schulz-Mittenzwei in Frankfurt/Main lebt und mit ihm angereist war. Dolidzes stimmungsvoll dargebotenen Klänge boten ein Spektrum von Chopin bis Schubert – ideal, um Gehörtes noch einmal sinnlich und fantasievoll Revue passieren zu lassen.
Abgedruckt im Buch sind auch zwei Beiträge des Autors dieses Berichts. Einer betraf das historische Geschehen in Osnabrück nach dessen Befreiung von der NS-Terrorhershft. Ein zweiter beleuchtete das Lebenswerk jes Mannes, der 1946 zum Redaktionsteam der ersten Osnabrücker Rundschau zählte und seinen Platz natürlich in der Nachfolge-OR gefunden hat.
Was könnte naheliegender sein, als das frisch erschienene Buch, das sich ja als Lern- und Lesebuch versteht, jetzt vor allem jungen Menschen in der Schule nahe zu bringen? Nicht zu vergessen weitere Literaturlesungen bis hin zu kleinen Leserunden im Alltag. Die von Sohn Ansgar, aber auch von der OR in jüngster Vergangenheit publizierten Texte sowie Wolf-Zeichnungen dürften jede Menge aktuellen Lese- und Nachdenkstoff bieten – und sich dem ersehnten Frieden zumindest in ganz kleinen Schritten nähern.