Walter Bubert
Gewerkschafter, Abgeordneter und Landrat im Dauerzwist mit Nazis und Nationalisten
Misst man Osnabrücker Nazi-Gegner und Widerstandskämpfer an ihren gesellschaftlichen Positionen, muss die Würdigung Walter Buberts (1886-1950) keinen Vergleich scheuen. Zu seinen Lebensstationen zählen Tätigkeiten als Gewerkschaftssekretär, Stadtratsmitglied, Landtags- sowie Reichstagsabgeordneter. In Emden wie im Landkreis Osnabrück ist er Landrat, zum Schluss auch Osnabrücker Oberkreisdirektor.
Bubert, seinem Geburtsort Mölln/Lauenburg im Südosten Schleswig-Holsteins als wandernder Schlosser längst entwachsen, hat es bereits vor dem Ersten Weltkrieg nach Osnabrück verschlagen. Der aktive Sozialdemokrat leitet von 1912 bis 1923 als Arbeitersekretär die Rechtsauskunftsstelle beim sozialdemokratischen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund. Sein vielbesuchtes Büro ist bis 1923 im damaligen Gewerkschaftshaus am Kollegienwall zu finden.
Als SPD-Mitglied und Gewerkschafter tritt er insbesondere in der Zeit des 1. Weltkriegs und in den unmittelbar folgenden Jahren deutlich in Erscheinung. Als Abgeordneter des Preußischen Landtags (1919-1933), zeitweiliger Reichstags-Abgeordneter (1923) und Landrat von Emden (seit 1923) gehört Bubert zu den führenden Sozialdemokraten in Nordwestdeutschland. Vor allem für sein vielfältiges soziales Engagement wird er bekannt, was auch im „bürgerlichen Lager“ Anerkennung findet.
„Geh zu Bubert, der hilft!“
Zur Stärke des Sozialdemokraten avanciert konkretes Handeln für Bedürftige. Führend tätig wird Bubert beispielsweise, als er für seine Partei maßgeblich an der städtischen Lebensmittelversorgung während der Mangeljahre des Ersten Weltkriegs beteiligt ist. Seit 1915 ist er in Osnabrück Mitglied der städtischen Preisprüfungsstelle und dabei für die amtlichen Lebensmittelhöchstpreise verantwortlich. Während der sogenannten „Hungerunruhen“ im Februar 1919, die in Osnabrück weitaus spektakulärer verlaufen als die Novemberrevolution des Vorjahres, befriedet Bubert die Lage in Gestalt gerechterer und durchschaubarer Lebensmittelverteilung. Anschließend verhindert er ein Blutbad, indem er einen Sturm auf das Gefängnis unterbindet, wo Untersuchungshäftlinge wegen Mundraubs einsitzen. Er schafft es, dass alle Häftlinge ohne Gewaltanwendung freigelassen werden. Bei erneuten Lebensmittelunruhen im Juni des folgenden Jahres tritt Bubert auch massiv gegen die von deutsch-nationalen Kreisen vorgetragene antisemitische Hetze gegen einzelne Geschäftsinhaber auf.
Nach dem 13. März 1920 trägt der Arbeitersekretär, mittlerweile Mitglied des örtlichen Stadtrates (damals heißt er Bürgervorsteherkollegium), und eines spontan gebildeten Aktionsausschusses, maßgeblich dazu bei, dass Osnabrücker Kapp-Putschisten des Korps „Lichtschlag“ nach einem erfolgreichen örtlichen Generalstreik sang- und klanglos die Stadt verlassen müssen. Frühestens da wird Bubert eine der zentralen Feindfiguren nationalistischer Kreise. Nach dem Mord an dem Finanzminister Mathias Erzberger (Zentrumspartei) macht Walter Bubert die rechtsnationalistische wie antisemitische Deutschvölkische Partei und die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) direkt mitverantwortlich. Dabei ahnt er aber wohl noch nicht, dass drei der führenden Osnabrücker Mitglieder der DNVP wie der Fabrikant Fritz Frömbling kurz darauf tatsächlich des Mordes an Erzberger beschuldigt werden. Unter den Beschuldigten befindet sich ebenfalls der Fabrikant Paul Meyer, wie Bubert selbst ein offizieller Bürgervorsteher der Stadt.
Abgrundtief gehasst wird Bubert in den Folgejahren seitens der Rechten auch deshalb, weil er es mehrfach gemeinsam mit von ihm herbeigeholten Arbeitern versteht, deutschnationale Propagandaveranstaltungen wie „Sedanfeiern“ zur Erinnerung an die Kapitulation der französischen Armee 1870, Propagandatreffen zur Verherrlichung der kolonialen Vergangenheit oder das Hissen der altkaiserlichen schwarz-weiß-roten Flagge zu verhindern. Kein Rechter vergisst ihm jemals diese „vaterlandsfeindlichen“ Aktivitäten.
1923, bis dahin hat Bubert die Osnabrücker SPD präsentiert, folgt er für knapp zehn Jahre einem Ruf nach Emden, wo er vom dortigen Kreistag zum Landrat gewählt wird. Noch heute schmücken sich die Insel Borkum und die Gemeinde Hinte jeweils mit einer Walter-Bubert-Straße. Ihren Namen tragen sie, weil sich der so Geehrte in Ostfriesland vor allem im sozial-, gesundheits- und schulpolitischen Bereich hohe Verdienste erworben hat. Insbesondere bei sogenannten einfachen Menschen genießt er deshalb ein hohes Ansehen. „Geh zu Bubert, der hilft!“ wird, wie vorher und nachher in Osnabrück, zum geflügelten Wort.
Warnrufe gegen die Nazis
In der Endphase der Weimarer Republik lässt Walter Bubert keine Gelegenheit aus, auf zahllosen Kundgebungen und unter beträchtlichen Störungen militanter Feinde der Republik vor einer Machtübernahme der NSDAP zu warnen. Oft geschieht dies gemeinsam mit seiner Osnabrücker Genossin und Landtagskollegin Alwine Wellmann, mit der er sich von 1924 bis 1932 stets gemeinsam im Landtag für die Interessen der abhängig Beschäftigten einsetzt.
Sein Engagement hat Folgen für seine berufliche Existenz. Unter großem Jubel von Bürgerlichen und Nazis wird er in Emden bereits Ende 1932 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Formaler Anlass ist, dass der Kreis Emden auf Leer und Norden aufgeteilt worden ist. Nach der Machtübergabe an die Hitler-Regierung am 30. Januar 1933 entziehen die braunen Machthaber Bubert, der mittlerweile wieder nach Osnabrück zurückgekehrt ist, alsbald auch noch alle erworbenen Pensionsansprüche. Er ist jetzt völlig mittellos: Der ehemalige Landrat und Abgeordnete muss sich und seine Familie in den nächsten zwölf Jahren, mehr schlecht als recht, unter anderem durch den Vertrieb von Seife durchs Leben schlagen.
Netzwerke helfen in der Illegalität
Zu Hilfe kommt ihm dabei ein Netzwerk aus vormaligen SPD-Genossinnen und -Genossen, die allesamt gezwungen sind, sich ebenfalls auf ähnlichen Wegen durchzuschlagen. Weil dabei häufig ehemalige sozialdemokratische Funktionsträger wie der frühere Hannoveraner Oberbürgermeister Robert Leinert eine Rolle spielen, mit dem Bubert alle Jahre gemeinsam im preußischen Landtag verbracht hat, stehen alle unter ständiger Beobachtung der Gestapo. Endlos sind Buberts Vorladungen zu knallharten Verhören. Auch Verhaftungen drohen immer wieder. 1933, 1939 und 1940 zählen zu den Jahren, in denen seine Festnahme beschönigend als „Schutzhaft“ deklariert wird. Seitens der Gestapo wird Bubert immer wieder verdächtigt, eine aktive Verbindung zu sozialdemokratischen Widerstandsorganisationen zu halten. Geschickt versteht er es aber, derartige Kontakte, die er tatsächlich unter schwierigsten Bedingungen aufrechterhält, geheim zu halten.
Die lange Reihe der Eintragungen in der Gestapo-Kartei, die der Osnabrücker Historiker Volker Issmer bereits 2000 infolge seiner Forschungen zu Bubert ans Licht gebracht hat, belegt die Einschätzung Buberts als gefährlichen Gegner, von dem es in einem Kartei-Eintrag vom 14. September 1938 heißt:
„Wenn auch dem B. eine illegale Tätigkeit nicht nachgewiesen werden konnte, so ist er seiner Einstellung und seinem Verkehr nach als Marxist und Pazifist schlimmster Sorte anzusprechen, der jede Gelegenheit wahrnehmen wird, die Arbeiter gegen den Staat aufzuwiegeln.“
Bemerkenswert am Karteieintrag der NS-Bürokraten ist: Selbst die Inhaber einer totalitären Macht bekennen sich zu ihrer Befürchtung, Bubert könnte Einfluss auf die Arbeiterschaft gewinnen und den Nazis damit gefährlich werden.
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Haarscharf am KZ vorbei
Einer anstehenden Einweisung in ein Konzentrationslager entgeht Bubert 1939 offenbar nur dadurch, indem ihn ein amtsärztliches Gutachten für haft- und lagerunfähig erklärt.
Das Kriegsgeschehen zwingt die Gestapo in den Folgejahren zu anderen Schwerpunktsetzungen als die Bespitzelung ihrer inländischen Todfeinde.
Das ändert sich fundamental bei jenen massenhaften Verhaftungswellen nach dem sogenannten Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944. Als „Aktion Gewitter“ oder auch „Aktion Gitter“ gehen sie in die Geschichte ein. Auf den Listen der Nazis stehen vornehmlich Personen aus SPD und KPD, die sich bereits vor 1933 in den Parteien der Arbeiterbewegung betätigt haben. Auch im Raum Osnabrück kommt es zu einer breiten Verhaftungswelle. Bubert zählt zu denjenigen, die ganz oben auf der Liste der Festzunehmenden stehen.
Als späterer Oberkreisdirektor des bis 1972 bestehenden Osnabrücker Altkreises schickt Bubert am 6. November 1948 dem Oberstaatsanwalt einen Brief, in dem er mit eigenen Worten darlegt, was folgend im Rahmen der „Aktion Gewitter“ geschieht. Eingekerkert werden 39 Angehörige der SPD, drei der KPD und zehn ehemalige Gewerkschaftsfunktionäre. Allen wird erklärt, dass sofortige Erschießung drohe, falls jemand flüchten sollte. Bubert wörtlich zum Aufenthalt in Zellen des Gestapo-Kellers im Schloss:
„Die Häftlinge mussten zum erheblichen Teil auf dem feuchten Zementfußboden schlafen ohne einen Strohsack oder sonst etwas als Unterlage zu erhalten, und ebenfalls wurden keine Decken zum Zudecken gegeben, so dass die Häftlinge auf dem feuchten Zementfußboden ruhen mussten und sich schwer erkälteten. (…) Ich selbst habe mir dort eine schwere Lungenentzündung zugezogen, an der ich bis Mitte April 1945, davon mehrere Monate im Krankenhaus, später zu Hause gelegen habe.“
Nach einigen Tagen Haft im Gestapo-Gefängnis erfolgt der Transport ins „Arbeitszuchtlager“ Augustaschacht, wo bis dahin vornehmlich „auffällig“ gewordene Zwangsarbeitende eingesperrt und misshandelt worden sind.
Bubert kann zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass ihm ausgerechnet die im Gestapo-Keller zugezogene Lungenentzündung kurze Zeit später das Leben rettet. Während die Sozialdemokraten Fritz Szalinski, Wilhelm Mentrup, Heinrich Groos und Heinrich Niedergesäß sowie der Kommunist August Wille, vom Augustaschacht aus, brutal ins KZ Neuengamme deportiert werden, wo am Ende ihre Ermordung ansteht, kann Bubert überleben. Der Osnabrücker Amtsarzt Dr. Heinrich Osthoff unterschreibt nach der Erinnerung von Buberts Frau die von ihm verlangte Erklärung über die Transportfähigkeit in ein Konzentrationslager mit der Bemerkung: „Transportfähig ist er zwar nicht, aber was soll ich machen?! Der Kopf sitzt mir näher als der Kragen! Es ist überraschenderweise der Georgsmarienhütter Arzt Dr. Josef Deutz, Leiter des Amtes für Volksgesundheit des Landkreises Osnabrück, gläubiger Katholik, NSDAP-Mitglied und SA-Scharführer, der seinem Patienten „Transportunfähigkeit“ bescheinigt und ihn, obwohl schwer krank, überleben lässt.
Mit dem Einmarsch der britischen und kanadischen Truppen am 4. April 1945 sind Krieg und Nazi-Terror in Osnabrück endlich vorbei. Walter Bubert, der das Angebot der Briten, als unbescholtener Antifaschist Regierungspräsident zu werden, ausschlägt, wird seitens der Befreier zunächst als Landrat, später als Oberkreisdirektor des südlich gelegenen Altkreises Osnabrück eingesetzt.
Hoffnung auf ein demokratisches und sozialistisches Deutschland
Natürlich ist Bubert an der lang ersehnten Wiederbegründung „seiner“ Osnabrücker SPD führend beteiligt. Anlässlich der Neugründungsfeier in der vormaligen Reithalle der Von-Stein-Kaserne am 7. April 1946 zeigt der „Rote Landrat“ als einzig ausgewählter Festredner auf, worum es fortan beim Neuaufbau der deutschen Demokratie gehen müsse:
„Von heute an rufen wir täglich und stündlich die Einwohnerschaft zur intensivsten Mitarbeit an dem Wiederaufbau der Stadt und an dem demokratischen Ausbau unserer Stadtverwaltung auf. Das letzte muss im sozialistischen Sinne geschehen. Alles muss getan werden durch das Volk für das Volk. Eine kapitalistische Restaurierung kann nicht in Frage kommen.“
In seinen Funktionen als Landrat, danach als Oberkreisdirektor, nimmt Bubert die Wiederaufbauarbeit sehr akribisch auf. Ein zentrales Anliegen bleibt es für ihn, ein Wiedererstarken der Nationalsozialisten auf allen Ebenen der Gesellschaft zu verhindern. Dass seine Vision einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft nicht verwirklicht wird, hat der beharrliche Kämpfer nicht mehr erleben müssen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte ihn schier entsetzt, dass im Adenauer-Deutschland seit den 1950er-Jahren immer mehr alte Nazis zurück an ihre alten Wirkungsstätten in Unternehmensetagen, Verwaltungen, Kasernen, Gerichtssälen, Universitäten und Schulen gelangen. Material, das Bubert in den Nazi-Jahren akribisch, offenbar für eine spätere Abrechnung mit seinen damaligen Peinigern, gesammelt hat, können nach seinem Tod nicht mehr in ein Fernhalten bei öffentlichen Funktionen oder gar in Urteile umgesetzt werden.
Am 8. August 1950 stirbt Walter Bubert in Osnabrück, auch aufgrund der Spätfolgen seiner erlittenen Leiden. Unter großer öffentlicher Anteilnahme wird er auf dem Heger Friedhof beigesetzt. Akribisch hebt seine Tochter Hilde nach der Beerdigung alle Grabschleifen auf, die sie sorgsam in einem Kästchen verwahrt. Leider, denn die Tochter bleibt ohne Nachfahren, ist Buberts Grabstelle auf dem Heger Friedhof nicht erhalten worden, um einen dauerhaften Gedenkort an ihn zu schaffen. Womöglich wäre eine in Grabesnähe aufgestellte Informationstafel für die Zukunft eine würdige Form, die Erinnerung an Walter Buberts Verdienste zu wahren. Angemessen wäre es.
Artikel des ILEX-Kreises zum „Braunen Haus“
Denkschrift ILEX-Kreis als PDF-Datei