OR-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ – Folge 4: Josef Burgdorf

Die OR-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ (dort finden sich auch Links zu allen bislang erschienenen Folgen dieser Serie) widmet sich einem spannenden, aber bisher kaum bekannten Thema: Sie erinnert an mutige Menschen, die sich aktiv dem Nazi-Terror und seinen menschenverachtenden Ideen widersetzt und dafür ihr Leben riskiert haben. Links zu bislang erschienenen Folgen am Ende des Textes.

 

Josef Burgdorf
Glaubensbekenntnis „Dissident“
Notizen eines ungebeugten Lebens nach 1933

Über Josef Burgdorf, der während seiner journalistischen Tätigkeit bis zum Februar 1933 in der sozialdemokratischen Tageszeitung „Freie Presse“ NS-kritische Kommentare, sogenannte „Plaudereien“ unter dem Pseudonym „Ilex“ (botanisch: Stechpalme) verfasste, hat die OR bereits umfänglich berichtet.

Da in unserer Reihe über Menschen aus dem Widerstand in aller Regel alphabetisch vorgegangen wird und er in dieser Reihe keineswegs fehlen darf, geht es dieses Mal erneut um Burgdorf. Die Hervorhebung verdient er auch, weil er Namensgeber der „ILEX-Gruppe“ ist, deren Mitglieder in der OR seit kurzem wöchentliche Beiträge über Personen des antifaschistischen Widerstands in Osnabrück verfassen. In diesem Beitrag sollen vor allem Geschehnisse und Hintergründe nach der Machtübergabe an die Nazis am 30. Januar 1933 hervorgehoben werden, die bislang nur angedeutet werden konnten.

 

„Schutzhaft“ und Überwachungen

Dass Burgdorfs Leben bereits vor 1933 bedroht ist, belegt bereits eine einzige Anekdote: Er selbst berichtet darüber in seinem bekannten ironischen Stil in der Freien Presse vom 13. Februar 1932. Danach sei am Biertisch im Kaffeehaus Schumla an der Iburger Straße bei einer Horst-Wessel-Feier beschlossen worden, dass er „sein fluchbeladenes marxistisches Leben am Galgen aushauchen“ werde.
Auch sonst werde von den „Biertischpolitikern“ dort „von weiter nichts als von Aufhängen, Erschießen, Köpfen und ähnlichen scherzhaften Dingen gesprochen“.

Kein Wunder: Burgdorf zählt nach der NS-Machtübernahme bereits Anfang April zu den ersten, die in „Schutzhaft“ genommen werden. Die Nazis benutzen dieses Wort beinahe genüsslich. Spielt es doch vor, jemand würde gewissermaßen in „Schutz“ genommen, um ihn vor weit schlimmeren Maßnahmen zu „schützen“. In Wahrheit bedeutet der fürsorglich klingende Begriff nichts anderes als tagelange Verhöre und Misshandlungen, in Einzelfällen auch brutale Morde.

Wie ergeht es Burgdorf nun nach jenem Spießroutenlauf, der in den Gerichtsverhandlungen der Nachkriegszeit auch „Prangermarsch“ genannt wird? Wir erinnern uns: Unter Führung des SA-Führers und Altstädter NSDAP-Ortsgruppenführers Erwin Kolkmeyer ist sein Todfeind Burgdorf, ein Schild „Ich bin Ilex“ tragend, durch die Osnabrücker Innenstadt geprügelt worden. Volle sechs Tage lang muss der Malträtierte daraufhin als „Schutzhäftling“ im Polizeigefängnis an der Turnerstraße verbringen. Er dürfte erlebt haben, worüber später zahlreiche Insassen dieses Gefängnisses berichten: Es ist kalt und feucht, das Essen karg, womöglich hat er die Nächte sogar, wie spätere „Schutzhäftlinge“ auch, auf dem nackten Boden verbringen müssen.

Etliche Peiniger wollen in ihren Verhören eine Preisgabe von Informanten aus Nazi-Kreisen erzwingen. Dazu gibt es aus deren Perspektive allen Grund: Die seinerzeit akribisch recherchierten Ilex-Artikel hat Burgdorf immer ausgiebig mit internen Infos über stadtbekannte Nazi-Größen gespeist und diese daraufhin dem Gespött der Öffentlichkeit ausgeliefert. Mit Drohungen, unbedingt nichts von den Misshandlungen zu berichten und der Warnung, künftig gefälligst alle politischen Aktivitäten zu unterlassen, kommt Burgdorf nach sechs Nächten erst einmal wieder frei. Er darf zurück zur Familie in die Borsigstraße.

Der Verhaftung am 1. April 1933 folgen nach Burgdorfs späteren, ebenfalls im Landesarchiv unter der Aktennummer NLA OS Rep 980 Nr. 25153 verwahrten Angaben, etwa zwanzig weitere Verhaftungen.

 

Quellen, die ihresgleichen suchen: Osnabrücker Gestapo-Kartei

Doch die Racheakte der Osnabrücker Nationalsozialisten sind längst noch nicht an ihr Ende gelangt. Recht aussagekräftig wird die Darstellung zu Burgdorfs weiteren Aktivitäten, wenn wir im Originalton kurze Texte von Nazi-Bürokraten zitieren.
Angefertigt werden sie durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Oft engmaschig mit Schreibmaschine getippt, zieren die Informationen über verhasste Gegner Tausende einzelner, unterschiedlich eingefärbter Kartonbögen, die Forschenden in Osnabrück mittlerweile als „Gestapo-Karteikarten“ bekannt sind.

Auffällig wird bei Josef Burgdorf bereits in der Sparte „Bekenntnis“ vermerkt, dass der Aufgeführte keineswegs mit einer Religionszugehörigkeit oder der Formulierung „ohne“ bedacht wird. Eingehämmert wird mit den Tasten stattdessen das Wort „Dissident“.

Osnabrück zählt mit dem Fund und der Digitalisierung jener Gestapo-Karteikarten übrigens zu äußerst wenigen deutschen Städten, die zur Freude der Forschenden auf einen derartig einzigartigen Fundus zurückgreifen können. Burgdorf kann dabei jenen Observierten zugeordnet werden, die auf einzelnen Karten mit deutlich mehr Text als bei anderen ausgestattet werden. Im Originalton der Karte beginnt es allerdings noch kurz und knapp:

„SPD-Funktionär, wegen Beleidigung vorbestraft, am 24.6.33 festgenommen, am gleichen Tage wieder entlassen, tägliche Meldung auf der polit. Polizei.“

Prall gefüllte Akten der Gestapo, auf den Karteikarten sorgsam mit ihren Fundstellen aufgelistet, gibt es dagegen nicht mehr. Die allermeisten Spitzelberichte und Verhörprotokolle sind entweder von Gestapo-Beamten aus Angst vor den Besatzern selbst vernichtet worden oder dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen. Indirekt können wir aber auch aus knapp erscheinenden Karteikarten-Eintragungen viel entnehmen.

Im Falle Burgdorf bezieht sich dies beispielsweise auf den Aspekt, dass angesichts seiner rigiden Überwachung jede Form aufgedeckter Widerstandstätigkeit Gesundheit und Leben des Observierten extrem gefährden kann. Denn Burgdorf ergeht es wie anderen Nazi-Gegnern: Nahezu jeder einzelne Schritt von ihm wird streng observiert.
Und Wege hat er allein aus Existenzgründen viele zu gehen. Denn zwingend muss für das Einkommen der Familie in der Schinkeler Borsigstraße 15 gesorgt werden. Allein die Miete bereitet schon eine Herausforderung, obwohl die Familie nur eine bescheidene Wohnung im 3. Stock bewohnt. Ein Redakteursgehalt kann er ja nach dem Verbot der Freien Presse im Februar 1933 nicht mehr beziehen. Bemerkenswert ist, folgt man einer Eintragung ins offizielle Adressbuch der Stadt von 1937, dass er dort unvermindert als „Redakteur“ bezeichnet sein wird.

Abbildung 2: Letzte Ausgabe der verbotenen Osnabrücker SPD-Tageszeitung „Freie Presse“ vom 23. Februar 1933. Weil das Blatt nicht mehr erscheinen kann, verliert Burgdorf als „Schriftleiter“ automatisch seine berufliche Existenz. Collage: ORAbbildung 2: Letzte Ausgabe der verbotenen Osnabrücker SPD-Tageszeitung „Freie Presse“ vom 23. Februar 1933. Weil das Blatt nicht mehr erscheinen kann, verliert Burgdorf als „Schriftleiter“ automatisch seine berufliche Existenz. Collage: OR

Seife, Kurzwaren – und die tägliche Angst um den Sohn

Notgedrungen versucht es Burgdorf, wie viele seiner ihrer beruflichen Existenz beraubten Genossinnen und Genossen, sich im Alltag materiell durch den Verkauf von Seife und sogenannter Kurzwaren durchzuschlagen. Weil ihm dabei alte Kontakte innerhalb der nun illegalen Arbeiterbewegung helfen, sichert die „Klinkenputzerei“ die nötigen Einnahmen der Familie mehr schlecht als recht.

Zugleich muss der Observierte tunlichst darauf achten, dass seine offiziellen „Kundenkontakte“ nicht als konspirative Netzwerkbildung im Milieu gesinnungstreuer Gewerkschafter, Sozialdemokraten und auch Kommunisten enttarnt wird. Alle, die Burgdorfs Produkte kaufen, sind naturgemäß auf diese Weise gefährdet. Jeder geschäftliche Kontakt ist darum einerseits erfreulich, andererseits birgt er zugleich eine Gefahr für die belieferten Familien, als Botschaftsempfänger des Verkäufers denunziert zu werden. Ganz zu schweigen von der sozialen Lage sozialdemokratischer wie kommunistischer Arbeiterfamilien, deren Alltag noch lange Jahre von Arbeitslosigkeit oder prekären Beschäftigungen geprägt ist – und die naturgemäß für Verkaufsgeschäfte an der Haustür nicht viel Geld zur Verfügung haben.

Auch die familiäre Situation bedrückt Burgdorf. Sohn Herbert und Ehefrau Maria sind schon längst, wie er selbst, von täglichen Schmähungen betroffen. Der mittlerweile verstorbene Zeitzeuge Egon Kuhn, der seinerzeit ebenfalls in der Borsigstraße gelebt hat und der dem Verfasser dieser Abhandlung viele Jahrzehnte später von den täglichen Verhören Burgdorfs bei der NS-Polizei berichten wird, erzählt auch von Leiden, die speziell Burgdorfs Sohn Herbert über sich ergehen lassen muss.

Dieser im Jahr der NS-Machtübernahme gerade einmal 10 Jahre alte Volksschüler wird regelmäßig brutal von johlenden Hitlerjungen, zu denen damals auch der junge Egon Kuhn zählt, gejagt, geschmäht und häufig brutal verprügelt. Erst viele Jahre später, als die mittlerweile älteren Jung-Nazis Herbert Burgdorf während des Weltkrieges in einer Leutnantsuniform antreffen, wird sich jener Hass legen, so Zeitzeuge Kuhn, der nach dem Kriege seine NS-geprägte Jugend umfassend aufarbeiten wird. Der „Heldentod“, der Herbert danach an der Kriegsfront ereilt, dürfte sein Ansehen innerhalb der besagten Gruppe in makabrer Weise gesteigert haben.

 

Vorwürfe mehren sich

Kehren wir zurück zu den Geschehnissen im Jahre 1933. Dass Burgdorf am 24. Juni verhaftet und, folgen wir dem Text auf der Karteikarte, sogleich wieder entlassen wird, spricht die Gestapo in diesem Fall noch von unbewiesenen Verdachtsmomenten. Eine Denunziation oder ein polizeilich ermittelter „Verdachtsmoment“ über NS-feindliche Widerstandsaktivitäten besitzen also noch keine offiziellen, vor allem beweisbare Anhaltspunkte.

Dies ändert sich im Jahr 1934 in Gestalt einer Eintragung vom 18.Januar:

B. hat sich laut Angabe von Droll (siehe Karte und Akte 410 S. 32) an der Verbreitung des Gerüchts über Mißstände in den KZ-Lagern beteiligt.“

Burgdorfs „Vergehen“ ist also offensichtlich. Misshandlungen in Konzentrationslagern, die von Betroffenen im kleinen Kreis, unter konspirativen Umständen und vor dem Hintergrund massiver Strafandrohung berichtet werden, hat er offenbar in persönlichen Gesprächen bestätigt und anderen mitgeteilt. Mindestens ein Denunziant muss sich folglich unter diesen Partnern bewegt haben. Die Denunziation führt natürlich zu einem weiteren Karteikarteneintrag sowie zu einem Aktenvermerk. Solche Verdachtsmomente gehen fortan auf jeden Fall in die anwachsende Liste von Beschuldigungen ein, die Gegenstand einer permanenten Ermittlung sind.
Dennoch sind die NS-Machthaber auch in Osnabrück tunlichst darauf bedacht, Berichte über Verbrechen in Konzentrationslagern unter der Decke zu halten und Informationen darüber nicht unnötig über Prozesse zu verbreiten. Im September 1934 wird Burgdorf dennoch vor dem Oberlandesgericht in Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat zur Rede gestellt. Mangels Beweisen kommt er aber noch einmal mit einem Freispruch davon.

Es gelingt Burgdorf also durchaus häufig, sich den Klauen der Nazi-Repression zu entziehen. Er geht gar einen gewaltigen Schritt weiter. Er schließt sich den Osnabrücker Widerstandskreisen nicht nur an, sondern übernimmt dabei offenkundig sogar eine führende Rolle. Folgt man seiner eigenen Aussage, ebenfalls enthalten in einer Akte des Landesarchivs Osnabrück (NLA OS Rep 980 Nr. 25153), vernimmt man sogar diesen Originalton, der später auch von anderen Zeitzeugen bestätigt wird:

„Ich war von 1933 bis 1945, wenn ich in Freiheit war, Leiter der Untergrundbewegung Osnabrück.“  

 

Hinwendung zur KPD

Für die NS-Spione ereignet sich im gleichen Jahre 1934 etwas, was durchaus Verwunderung auslöst: Burgdorf wendet sich offenkundig schrittweise von der Sozialdemokratie ab und öffnet sich gegenüber den deutlich aktiver im Widerstand stehenden Kommunisten.

Die erbitterten Feindschaften der Vergangenheit, in der Sozialdemokraten von KPD-Mitgliedern als „Sozialfaschisten“ denunziert worden sind und SPD-Angehörige die KPD-ler platt als Staatsfeinde und Vasallen Moskaus schmähten, lösen sich angesichts der wachsenden Verfolgungen beider Parteien ohnehin langsam auf. Besonders in Osnabrück ist es für manche Sozialdemokraten aber weit mehr als eine Annäherung mit dem Ziel einer Kooperation beider Arbeiterparteien: Sie treten direkt zur KPD über.

Besonders für Burgdorf scheinen die Kommunisten womöglich jenen aktiven Widerstand zu verkörpern, den er bereits vor 1933 in vielen leidenschaftlichen Debatten auch von seiner eigenen Parteiführung erfleht hat. Die Enttäuschung über deren Rolle, viel zu lange auf rein legale Widerstände wie Klagewege gesetzt zu haben und beispielsweise massive Streiks zu vermeiden, ist nach dem 30. Januar 1933 durchaus Gemeingut vieler Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Die kampflose Kapitulation der preußischen Landesregierung unter dem SPD-Genossen Otto Braun, der sich am 20. Juli 1932 von einer Handvoll Reichswehrsoldaten aus seinem Amtszimmer treiben ließ und die Führung des preußischen Staates der deutschen Rechten übergeben hat, wirkt bei vielen in der Sozialdemokratie unverändert als schweres Trauma. Eine Massenkundgebung der Sozialdemokratie vor dem Gewerkschaftshaus am Kollegienwall hatte für Burgdorf und seine Gesinnungsgenossen eindrucksvoll dokumentiert, welcher antifaschistische Kampfeswille in Wahrheit in der Arbeiterbewegung vorhanden gewesen ist.

Abbildung 3: SPD-Kundgebung im Juli 1932 zur Abwendung des „Preußenschlags“ gegen die SPD-geführte Landesregierung. Gezeigt wird die erhobene rechte Faust als "Freiheitsgruß" der 1931 gegründeten eigenen Wehrformation "Eiserne Front". Foto: Georg KruezmannAbbildung 3: SPD-Kundgebung im Juli 1932 zur Abwendung des „Preußenschlags“ gegen die SPD-geführte Landesregierung. Gezeigt wird die erhobene rechte Faust als "Freiheitsgruß" der 1931 gegründeten eigenen Wehrformation "Eiserne Front". Foto: Georg Kruezmann

Offenbar arbeitet der ehemalige SPD-Redakteur, wie übrigens auch der ehemalige Osnabrücker SPD-Parteivorsitzende und Sekretär der Holzarbeitergewerkschaft Wilhelm Wiltmann inzwischen immer enger mit KPD-Angehörigen zusammen. Zu ihnen gesellen sich weitere ehemalige Sozialdemokraten wie die beiden Brüder Ernst und Willi Hardieck, die, ausgestattet mit Führungsfunktionen, aus der Sozialistischen Arbeiterjugend stammen.

Im Falle Burgdorfs deutet sich diese Annäherung an den kommunistischen Widerstand in Gestalt eines am 15. November 1934 vorgenommenen Eintrags in die Karteikarte so aus:

„B. hat vorübergehend dem Kommunisten Niehaus, Johannes geholfen (durch Angabe der Adresse des Komm. Henning, hat ihm zu essen gegeben u. ä.) B. bestreitet, an der illegalen Fortsetzung der KPD (Sierp und Gen.) beteiligt gewesen zu sein oder sonst mit Kommunisten in Verbindung gestanden zu haben. Aus den Vernehmungen in der Angelegenheit Forts. der illegalen KPD durch Sierp und Gen. geht hervor, dass Burgdorf für die KPD tätig war und mit Kommunisten in Verbindung stand. Klare Beweise konnten jedoch nicht erbracht werden.“

Die offizielle Verhaftung folgt dennoch. Folgt man dem Wortlaut eines Karteikarteneintrags vom 19. März 1935, ist Burgdorf zwischen Jahresende 1934 und Frühjahr 1935 erneut in Haft. Den Kontakt zu Gleichgesinnten lässt er aber trotzdem nicht abbrechen. Im Originalton der vollgetippten Karte heißt es dazu:

„B. empfing nach seiner Haftentlassung häufige Besuche von anscheinend ehemaligen Gesinnungsgenossen. Eine Durchsuchung seiner Wohnung ergab jedoch keinen Beweis für den Verdacht einer illegalen staatsfeindlichen Betätigung.“

Der nächste Eintrag stammt vom 22. März 1937, dokumentiert jedoch aus Nazi-Sicht einen erneuten Fehlschlag, der sich auf längst vergangene Ereignisse bezieht. Erneut erbracht wird aber zugleich ein vager Hinweis auf kommunistisch ausgerichtete Tätigkeiten:

„B. soll 1934 KPD-Flugblätter an Gustav Heilmann weitergegeben haben, konnte nicht überführt werden, da H. als Zeuge nicht in Frage kommt.“

Die Hatz der Nazis auf den verhassten „Ilex“ durchzieht fortan alle Jahre der NS-Zeit. Unterlagen, die der OR dankenswerterweise digital von den Arolsen-Archives (1.2.2.1/ 11683487;Gefangenenbücher des Polizeigefängnisses Dortmund) zur Verfügung gestellt worden sind, belegen weitere Drangsalierungen. Am 9. September 1939, der Überfall der Wehrmacht auf Polen und der damit von den Nazis entfachte Weltkrieg sind gerade eine gute Woche her, wird Burgdorf am 12:30 Uhr in das Dortmunder Polizeigefängnis eingesperrt. Bezeichnet wird seine dortige Inhaftierung in der entsprechenden Sparte als „Politische Schutzhaft“. Die schlimmsten Höhepunkte seiner Verfolgungen hat der beherzte ehemalige Redakteur zu diesem Zeitpunkt allerdings noch vor sich: Von November 1939 bis April 1942 wird er im brandenburgischen KZ Sachsenhausen nahe Oranienburg eingepfercht, danach erneut mit strengen Auflagen nach Hause entlassen. Nach dem 20. Juli 1944 droht auch Burgdorf ein Opfer der „Aktion Gewitter“ zu werden. Im Zuge massenhafter KZ-Deportationen von NS-Gegnern aus der sozialistischen Arbeiterbewegung wird auch er infolge des Stauffenberg-Attentats nochmals inhaftiert und wie die anderen zeitweise im Augustaschacht-Gebäude untergebracht.

Nur knapp entgeht er einer Deportation ins KZ Neuengamme, in dem mit den Sozialdemokraten Wilhelm Mentrup, Fritz Szalinski, Heinrich Groos und Heinrich Niedergesäß sowie dem Kommunisten Auguste Wille mindestens fünf Osnabrücker ermordet werden.

 

Aufbauarbeit nach 1945

Trotz seiner kommunistischen Gesinnung zählt Burgdorf nach der Befreiung Osnabrücks durch die Briten am 4. April 1945 zu denjenigen, denen im Kreise unbescholtener Demokraten Verantwortung übertragen wird. Wichtige Anstöße gibt Burgdorf beispielsweise zur Neugründung der örtlichen Gewerkschaften. Seine umfassenden Aktivitäten schließen allerdings auch gewisse Differenzen nicht aus. Der Osnabrücker Lehrer Karl Lilienthal, der durchaus ebenfalls zu den demokratischen Kräften gezählt wird, geht in seinen erst 2005 veröffentlichten Tagebüchern auf die kurzzeitige Einsetzung Burgdorfs als Leiter des Arbeitsamtes ein. Der Wortlaut der Eintragung über die Zeit vom 10. August bis 17. September 1945 dokumentiert, dass speziell Lilienthal sicherlich kein Freund Burgdorfs ist. Der stadtbekannte Lehrer schreibt über das offenkundige Scheitern des ehemaligen Redakteurs in dieser Funktion:

„Der Kommunist Burgdorf, der große Schikane auf dem Arbeitsamt betrieben hat, wurde abgesetzt.“

Noch heftiger bekämpfen Burgdorf naturgemäß jene Altnazis, die sich nach 1945 nicht mehr an die Öffentlichkeit trauen. Deutlich wird dies im Zuge von Prozessen, bei denen es nach 1945, auch mit Burgdorfs Hilfe, gelingt, einige Alt-Nazis auf die Anklagebank zu setzen. Beim Synagogenbrandprozess, bei dem unter anderem Erwin Kolkmeyer als Rädelsführer vor dem Richter steht, geben sich deutlich viele Alt-Nazis zu erkennen. So muss ein Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung „Nordwestdeutsche Rundschau“  am 5. Dezember1949 notieren, jemand habe gesagt:

„Burgdorf gehört in den Glaskasten zur Vergasung“.

Nicht alle bei den im Nachkriegs-Osnabrück Verantwortlichen scheinen aber so zu denken wie Lilienthal. Immerhin zählt Burgdorf zu jenen handverlesenen Redakteuren, die, beginnend am 1. März 1946, das Redaktionsteam der ersten Osnabrücker Rundschau bilden.
Die heutige OR hat über diese Geschehnisse natürlich längst berichtet.

Daneben setzt er sich im am 7. August 1945 mit britischer Billigung gebildeten zehnköpfigen Bürgerausschuss, gemeinsam mit seinen ehemaligen SPD-Genossen dafür ein, Nazi-Namen aus dem Straßenbild zu tilgen. Der „Adolf-Hitler-Platz“ wird so wieder zum Neumarkt, der „Braunauer Wall“ zum Heger-Tor-Wall und die „Straße der SA“ zum Neuen Graben. Ein besonderes Anliegen ist es Burgdorf, die Ehrenbürgerschaften von Personen wie Adolf Hitler, Paul von Hindenburg sowie NSDAP-Gauinspektor Gronewald für alle Zeit zu streichen. Burgdorf persönlich bringt den Antrag ein und unterstreicht dabei, dass es hierbei um

„einen Akt der Enttrümmerung geht, und zwar der geistigen, die anscheinend noch notwendiger ist als die materielle“.

Bei wenigen Enthaltungen bürgerlicher Mitglieder wird der Antrag einstimmig angenommen.

Nach dem kurzen Intermezzo als Lizenzträger einer kommunistischen Zeitung in Hannover bricht Burgdorf nach 1946 mit der KPD, wendet sich wieder gen Osnabrück und kehrt auch in seine frühere Partei zurück. Vermutet werden darf, dass die Geschehnisse im Osten Deutschlands und die mit sowjetischem Druck erzeugte Vereinigung von SPD und KPD zur SED bei Burgdorf viele Illusionen über eine demokratische Ausrichtung deutscher Kommunisten zerstört hat.

Als Sozialdemokrat wird er schließlich anno 1947 bis zum vorzeitigen Ruhestand 1955 Wirtschafts- und Sozialdirektor der Stadtwerke. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieses städtischen Unternehmens stehen naturgemäß im Mittelpunkt seines Wirkens.

Politisch hervorgetreten ist er fortan eher wenig. Bezüglich seines Diensteintritts bei den Stadtwerken kursiert auch die Vermutung, dass es zugleich einer Ruhigstellung jenes politischen Kopfes gleichkommt, der auch vielen in der eigenen Partei als eher unbequemer Genosse gilt. Werner Lenz, Sohn des stadtbekannten Metallgewerkschafters Franz Lenz und späterer Oberbürgermeister von Bremerhaven, hat seinen früheren, damals bewunderten Mentor Josef Burgdorf, mit dem er in späteren Jahren offenkundig Probleme hatte, in seinem autobiografischen Buch „Gerade Wege gibt es nicht“ ausgiebig beschrieben. Der Dienstantritt bei den Stadtwerken hat für Lenz danach vor allem einen besonderen Hintergrund:

„Die Parteioberen, die ihm sein kurzes Gastspiel in der KPD übelnahmen, schoben damit den unberechenbaren Feuerkopf aufs Abstellgleis. Es wurde still um Josef Burgdorf.“

Der leidenschaftliche Kämpfer gegen den Faschismus stirbt am 26. März 1964. Vor seinem Sarg findet sich der Strauß einer Stechpalme, von botanisch kundigen Menschen auch „Ilex“ genannt. Freunde und Genossen haben den Strauß so niedergelegt, dass er deutlich zu sehen ist und womöglich eine klare Anspielung auf das Wirken des Verstorbenen formuliert. Denn die Ilex zählt zu den wenigen ihrer Art, die als „immergrün“ gelten und zu allen Jahreszeiten ihre Färbung behalten. Notorischen Anpassern dürfte diese Eigenschaft nicht gefallen. Bei Burgdorf dürfte der Grabschmuck eindeutig gepasst haben.

Artikel des ILEX-Kreises zum „Braunen Haus“
Denkschrift ILEX-Kreis als PDF-Datei

Folge 1: Walter Bubert
Folge 2: Hans Bodensieck 
Folge 3: Emil Berckemeyer

 

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