Osnabrücks Uni-Geschichte in den 70er-Jahren: ein Lehrstück für Aufbruch und Krise großer Reformideen

Blick auf ereignisreiche Gründerzeiten

Einmal mehr widmet sich die Osnabrücker Volkshochschule in Kooperation mit dem Verein „Soziokultureller Dialog“ einem brisanten Thema der 70er-Jahre. Es geht um die Gründungsjahre einer Universität, die mit ihren Reformansätzen einmal eine Vorzeigeeinrichtung für eine praxisorientierte, gesellschaftskritische und vor allem sozial ausgerichtete Bildungsstätte werden wollte – und am Ende viele Einschüchterungen und Rückschritte schultern musste. Zahllose Menschen, die noch im heutigen Osnabrück das politisch-kulturelle Leben bestimmen, wurden in jenen Jahren an der „Roten Uni“ geprägt.

„Aufbruch und Krise. Die Osnabrücker Hochschulen in den 1970er Jahren“ lautet der Titel der Abendveranstaltung. Der Referent, Dr. Thorsten Unger, hat sich bereits in Gestalt eines vielbeachteten Aufsatzes zur Uni-Geschichte ausführlich mit dem Thema befasst. Abgedruckt ist der im von Reiner Wolf und Heiko Schulze anno 2020 herausgegebenen Sammelband, der mit „Aufbruch und Krise. Osnabrück in den 70er-Jahren“ nicht zufällig einen ähnlichen Titel trägt wie die VHS-Veranstaltung. Dokumentiert hat der Referent in diesem Band auch, welche Fülle an zeitgenössischen Quellen er mittlerweile im Osnabrücker Landesarchiv zum Thema erfasst, gut geordnet und ausgiebig bearbeitet hat. Etliches kam seither an Quellenschätzen hinzu.

 

Kontinuität – eher auf den zweiten Blick

Eher auf den zweiten Blick ist die heutige Uni eng mit ihrer Gründungsgeschichte verwoben. Ungefähr 28.000 Studierende sowie 3.200 Beschäftigte zählen die beiden in den 1970er Jahren gegründeten Osnabrücker Hochschulen heute. Traditionsstudiengänge wie BWL und Jura prägen vielerorts das Bild. In den Anfangsjahren gab es erst wenige Tausend Studis, die damals als „Langhaarige“ das Bild prägten. Auch die ehemalige Fachhochschule ist, als nun umbenannte „Hochschule Osnabrück“, mittlerweile als nahezu gleichwertige Bildungsstätte etabliert. Auch deren Werdegang wurde unzweifelhaft von der universitären Schwester beeinflusst.

Beide Hochschulen prägen damit das Stadtbild und die Region, sowohl als Ausbildungseinrichtung für den akademischen Nachwuchs als auch als Arbeitgeber.

Zeitgenössische Karikatur des Autors (damals AStA-Referent) zu Vollversammlungsdebatten („ASV“ bedeutete Allgemeine studentische Vollversammlung) anno 1977Zeitgenössische Karikatur des Autors (damals AStA-Referent) zu Vollversammlungsdebatten („ASV“ bedeutete Allgemeine studentische Vollversammlung) anno 1977

Was war damals anders?

In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren war die Entwicklung der beiden Einrichtungen allenfalls im Ansatz zu erahnen. Gleichwohl erwarb sich die Einrichtung in Gestalt prominenter Lehrpersonen und engagierter Studierender schnell einen Ruf als Ort, auf dem zahllose demokratische Prozesse stattfanden. Stichworte wie die seinerzeit von der CDU-Landesregierung brutal abgeschaffte Einphasige Lehrerausbildung mit der Integration von Studium und Schulpraxis, ein ebenfalls eingestellter Studiengang „Medienwissenschaften“, das Ziel einer „Gesamthochschule“ – gemeinsam mit der Fachhochschule – und zeitkritische Sozialwissenschaften prägten das Bild. Heftig debattiert wurde über Berufsverbote gegen links ausgerichtete Lehrpersonen und angehende Lehrkräfte. Heftig gerungen wurde um kritische Lehrinhalte gegen den bürgerlich-kapitalistischen Mainstream. Studentische Streiks mit Urabstimmungen und alternativem Veranstaltungsprogramm prägten nicht wenige Semester. Vollversammlungen entwickelten sich zu heftigen Debattierforen unterschiedlicher linker Gruppen – gleich, ob dabei Jusos, maoistische K-Gruppen oder anarcho-syndikalistisch inspirierte „Spontis“ den Ton angaben und um Mehrheiten rangen.

Streik im Wintersemester 1975/76. Das Foto zeigt das „EW-Gebäude“ hinter dem Schloss. Foto: PrivatarchivStreik im Wintersemester 1975/76. Das Foto zeigt das „EW-Gebäude“ hinter dem Schloss. Foto: Privatarchiv

Prall gefüllte Mappen und Aktenordner

Der „Deutsche Herbst“ im September und Oktober 1977 führte auch in Osnabrück zu massiven Repressionen und Beschnüffelungen des Verfassungsschutzes sowie des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gegen missliebige, links ausgerichtete Einzelpersonen und Organisationen. Prall gefüllt waren Mappen und Aktenordner mit konspirativ erspähten Erkenntnissen, die bis in Privatbereiche hineinragten, um später die Einstellung als Lehrerin oder Lehrer zu verhindern. Strafverfahren gegen studentische Vertretungen, die das „Politische Mandat“ wider den konservativen und kapitalistischen Zeitgeist vertraten, bestimmten den Alltag der Justiz.

Der Vortrag Ungers beleuchtet die Gründung und die schwierige Entwicklung von Universität und (Fach)Hochschule Osnabrück. Stattfinden wird die reflektierte Zeitreise am Donnerstag, 09.06.2022,19:30–21:45 Uhr im VHS-Gebäude (Stüvehaus) in der Bergstraße 8. Um Voranmeldung wird gebeten.

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