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Prost Laufjahr!

OTB-Silvesterlauf zum Jahresausklang: ein Selbstversuch

Schon mal an einem Silvesterlauf teilgenommen? Falls nein, darf der folgende Eigenbericht gern einen Mini-Einblick verschaffen. Für die einige Tausend Menschen umfassende Laufszene Osnabrücks sind Erlebnisberichte zumindest vergleichbar. Andere erleben alles womöglich anders. Aber egal. Nach dem gestrigen Lauf hatte ich einfach mal Lust, ein wenig vom erlebten Wahnsinn aufzuschreiben.

Schnappschuss aus dem Vorjahr - kurz vor der Ziellinie. Foto: OR
Schnappschuss aus dem Vorjahr – kurz vor der Ziellinie. Foto: OR

Rahmendaten

Fangen wir mit nackten Daten an: Silvesterläufe gibt es in Osnabrück schon seit 1980. Nur zur Einordnung: Da regierte in der Bundesrepublik noch der Dauerraucher und Nie-Läufer Helmut Schmidt. Ein Jahr zuvor waren sowjetische Truppen in Afghanistan einmarschiert, worauf ein internationales Bashing und ein Olympiaboykott der Moskauer Spiele für die BRD und die USA folgen sollte. Beim ersten OTB-Silvesterlauf musste aber eh niemand der abzählbaren Pioniere die Olympianorm knacken. Die überschaubaren Hobby-Athlet*innen wurden noch locker per Hand gestoppt.

Für 2026 entsagen wir lieber dem Versuch, die Weltlage zu erläutern. Zumindest erscheint sie so problematisch, dass sie sogar den Spaß an läuferischer Betätigung kaputtmachen könnte. Tat sie aber nicht: Schon Tage zuvor ist der Osnabrücker Lauf-Homepage zu entnehmen, dass für meinen persönlichen 10-km-Lauf nach 2.000 Anmeldungen niemand mehr neu aufgenommen werden kann. Wow! Hätte ich nicht so erwartet.


Schwindel, Müdigkeit und ein kodderiges Gefühl …

Als sich OTB-Halle und deren Umfeld auf der Illoshöhe zu füllen beginnen, festigt sich der Respekt gegenüber den Veranstaltern. Was mir persönlich fehlt, sind altbekannte Gesichter. Vor allem mit Betonung von „alt“. Ich selbst zähle zu exakt 0,9% der Startenden, welche inzwischen die 70 überschritten haben. Kein Wunder, dass ich viele Jungspunde weniger gut kenne.

Ist es das Alter? Irgendwie ist mir nicht gut. Nach außen gelingen mir ein paar launige Plaudergespräche mit der Laufkonkurrenz. Doch gut drauf bin ich wirklich nicht. In den Augenwinkeln beengen meinen Durchblick komische Nebelschwaden. Leichter Schwindel und gruselige Müdigkeit kommen dazu. Wie soll ich da gleich 10 km laufen? Ernsthaft überlege ich, nicht anzutreten und mich zu Hause ins Bett zu hauen. Andererseits habe ich fast 30 Vorgängerläufe über die 10 km ja auch überlebt. Warum soll das heute anders sein? Nach dem Anpieksen meiner Startnummer und dem Anfriemeln meines elektronischen Laufships an die Schnurbänder meiner betagten Schuhe renne ich aber trotzdem erst einmal durch die Kälte zum unweit geparkten Auto. Gut 20 Minuten gönne ich mir im kalten Gefährt ein schläfriges Chillen mit einem heruntergedrehten Fahrersitz. Wirklich besser scheint es mir nicht zu gehen. Danach geht es zurück zu OTB-Halle und Illoshöhen-Tribüne. Von der aus darf ich einige Impressionen des Bambini-Laufs für die Kleinsten, später auch des „Jedermann-Laufs“ für weniger Konditionsstarke erleben.

Kommunikativer wird ein Zusammentreffen für ein Fotoshooting des Help-Age-Teams. Es wird nett geplaudert. Von meinem kodderigen Feeling erzähle ich aber nix. Trotzdem: Immer wieder schön, das gemeinsame Trikot mit dem Emblem „Jede Oma zählt“ zu tragen. Die gute Sache soll außerdem auch so etwas wie eine Verpflichtung sein. „Reiß dich also trotz Duselgefühl und Müdigkeit zusammen!“, flüstere ich in mein Inneres.

Ein Rückfall in Selbstmitleid ereilt mich, als ich einen alten Kumpel treffe. Der erzählt mir, dass es ihm beim letzten Lauf beschissen ging: Herzrhythmusstörungen, keine Luft, anschließende Herz-OP in Bad Rothenfelde. Ach du Scheiße! Überlebe ich den heutigen Tag?


Disziplin am Startpunkt

Das lange Sinnieren wird durch Blicke auf die Uhr ersetzt. Keine Zeit mehr für Selbstzweifel! 12.00 Uhr ist vorbei. Allmählich geht es zum Startpunkt. Schaffe ich das wirklich? Noch ist Zeit, aufzuhören. Soll ich? Quatsch! Ich zwänge mich in die Schlangen. Da zuvor die Konkurrenz für die 5,6-km-Distanz startet, irre ich irgendwo zwischen denen und „meinen“ danach startenden 10-km-Rennern herum. Erst in fast letzter Minute entdecke ich, dass mein Lauf schon gestartet ist. Ich renne hinter einem Papa mit Kinderwagen her, um gerade noch fristgerecht zum Startpunkt zu kommen. Ab geht es!

War ich mal hundemüde, ködderig oder gar schwindelig? Traute ich mir gar eine Herzschwäche zu? Blödsinn, Heiko! Sei kein Hypochonder! Ich merke nichts mehr von Beeinträchtigungen. Dafür herrscht riesiges Gedränge, wann immer schmalere Pfade zur Zwischenetappe am Rubbenbruchsee führen. Da ich irrlichternd von ganz hinten starte, muss ich jetzt permanent überholen. Klappt aber irgendwie. Dass Matschpfützen die Überholspuren bilden, stört mich nicht. Unter die Dusche muss ich eh. Den Rest wird die Waschmaschine erledigen.

Ich bekomme es sogar hin, statt an das abrupte Ableben sogar an meine Zielzeit zu denken. Eigentlich ist das völliger Quatsch für einen Hobby- und Gesundheitsläufer. Wenn ich mich trotzdem an passablen Zeiten für mich selbst erfreue, kann man das vielleicht mit „Mensch ärgere dich nicht!“ vergleichen. Wer will schon rausgeschmissen werden, und wer freut sich nicht, seine vier Figürchen im „Stall“ zu haben? Lachen kann ich trotzdem, wenn ich als Looser am Spielbrett sitze.

Beim Laufen mit behaupteten Zeit-Ehrgeiz ist das ähnlich. In Wahrheit kann man sich über vermurkste Läufe herrlich amüsieren – wenn man sie ansonsten gesund übersteht. Außerdem will ich ja nicht spinnen, sondern Realist sein. Die Zeiten, in denen ich die Distanz, zuletzt wohl vor neun Jahren, mit unter 50 Minuten durchgerannt bin, dürften wohl endgültig zu Ende sein.

Ich wünsche mir dafür aber einfach mal, zumindest unter einer Stunde ins Ziel zu kommen. Trainiert habe ich in Wahrheit so wenig wie seit 40 Jahren nicht mehr. Popelige 41 Langläufe stehen auf meinem Laufkalender 2024, im Schnitt nicht mal wöchentlich ein einziger. Zu viel um die Ohren, auch mit der OR, entschuldige ich mich ständig vor mir selbst. Und jetzt noch so ködderig zufrieden. Die Zielzeit unter 60 Minuten, fürchte ich, kann ich mir total abschminken. Also: Genieß den Lauf, Dabeisein ist alles, Du Blödmann!


Vom Unernst der Zeitnahme

Wirklich? Ich merke, dass ich immer noch Menschen, darunter nicht wenige altbekannte Gesichter, überholen kann. Von Schwindel merke ich wirklich nix mehr. Ein Herz spüre ich eh nicht. Frust kommt aber auf, als ich irgendein Schild „5 km“ entdecke und meine Durchschnittszeit ausrechne. Mist! Danach sind es deutlich über 6 Minuten auf den Kilometer. Ich erwarte irgendwas mit 65 Minuten. Aber egal. Heute soll ja das Ankommen zählen. Ist ja auch was.

Was für mich völlig unerheblich ist, ist das Geschehen an der Spitze des Laufes. Jonas Kulgemeyer vom gastgebenden OTB Osnabrück, Jahrgang 2004, wird die 10 km mit sagenhaften 30 Minuten und 52 Minuten schaffen. Hinter ihm wird Steffen Riestenpatt, Jahrgang 1997, folgen, immerhin angereist vom Deutschen Fußballmeister TSV Bayer 04 Leverkusen. Steffen wird die Distanz in 32 Minuten und 57 Sekunden hinter sich bringen.

Während ich also noch irgendwo in der Laufmitte durch das Heger Holz keuche, sind Jonas und Steffen schon längst am Ziel. Naja. Statistisch bemerkenswert, echt gratulationswürdig, aber für mich persönlich völlig egal.

Es geht also weiter durch das Heger Holz. Irgendwann tauchen die verblichenen Ruinen des ehemaligen Parkhotels auf. Kurz danach kommt die von allen gefürchtete Steigung vor dem Klinikum. Problem? Nix da. Ich fühle mich längst nicht so fertig wie in etlichen Läufen zuvor. Modell Volkswagen, abgenudelt, aber wahr. Heiko läuft und läuft und läuft.

Endlich kreuzen wir die Rheiner Landstraße. Am Horizont die Bonnuskirche, dann im Schlusssprint durch die enge Bredowstraße. Kurve links, immer mehr Leute klatschen und geben den letzten Push. In der Oberen Martinistraße am Firmament ist das hohe Ziel-Transparent gespannt. Endlich. Geschafft!

Ich drücke ohne Optimismus auf die Stopptaste meiner Uhr: 58 Minuten, 38 Sekunden. Unter 60. Und sogar eine glatte Sekunde besser als im Vorjahr. Wow!

Nachher wird mich die ins Netz gestellte Laufstatistik belehren, dass von 2.000 Angemeldeten real 1.735 Finisher*innen im Ziel angekommen sind. Die Zeiten, in denen ich im oberen Drittel gelandet bin, sind ja nun mal leider vorbei. Aber im unteren Drittel habe ich es immerhin geschafft, mit meiner Netto-Zeit rund 500 konkurrierende, allesamt jüngere Laufmenschen hinter mir zu lassen. Und bei den über 70-Jährigen, von denen allerdings gerade mal noch 16 die Ziellinie erreichen, darf ich mich sogar mit Platz 2 schmücken. Als junger 70-er machen da aber ehrlicherweise ein paar Jährchen schon eine Menge aus. Also bloß nicht übermütig werden, alter Sack!

Und nach dem Lauf? Viele nette Gespräche, Streckenanalysen, Zeitvergleiche, ein obligatorischer warmer Tee. Und das gute Gefühl, irgendetwas Sinnvolles zum Jahresende hinbekommen zu haben. Wenigstens das.

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