Verrat in der Rue Archimède

Warum sich auch in Brüssel ein Stolperstein für Felix Nussbaum befindet

In der OR-Redaktion werden nicht nur Berichte geboren. Häufig gedeihen auch Initiativen. Unser Plan: Mein Aufenthalt als Mitglied einer aus dem Wahlkreis Weser-Ems stammenden Journalist*innengruppe in Brüssel sollte in Bild und Schrift an etwas Besonderes erinnern: Sowohl in Brüssel wie in Osnabrück gibt es Stolpersteine, die an Felix Nussbaum (1904-1944) erinnern.

Mehrsprachige Erinnerungstafeln erinnern an Felix und Felka. Foto: OR

Die in Osnabrück schon lange auffindbaren Stolpersteine befinden sich vor der Nussbaum-Villa in der Osnabrücker Schloßstraße 11. Es ist das frühere Wohnhaus der Familie Nussbaum. Jeweils ein Stolperstein ist Sohn Felix und seinen Eltern gewidmet.  Ein weiterer, in Osnabrück kaum bekannter Stolperstein erinnert aber auch in Brüssel, konkret in der 22 Rue Archimède, an Nussbaum und an seine Frau Felka Platek (1899-1944). Dieses Haus war für beide ihr letzter Aufenthaltsort vor der Deportation nach Auschwitz. Nach einer Denunziation waren Felix und Felka im Juni 1944 von der Wehrmacht inhaftiert und mit dem letzten Deportationszug vom Sammellager Mechelen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht worden.

Standort der letzten Unterkunft Nussbaums und Plateks in der Rue Archimede. Foto: OR
Standort der letzten Nussbaum-Unterkunft in der Rue Archimede. Foto: OR

Am 20. Juni 2024 wird der 80. Jahrestag der Verhaftung von Felix und Felka Platek (1899-1944) sein. Von der OR-Redaktion wie von der hier federführenden Osnabrücker Felix-Nussbaum- Gesellschaft mit ihrem Vorsitzenden Heiko Schlatermund ist angedacht, im Rahmen einer Ausstellung in Brüssel an das Schicksal des Künstlerehepaares zu erinnern. Alles soll in enger Kooperation mit dem SPD-Europa-Parlamentarier Tiemo Wölken geschehen, der – wie Schlatermund und die OR-Redaktion – zu den Initiatoren der Idee einer Ausstellung zählt. Überzeugt zeigt sich Wölken, dass sich dazu kompetente Bündnispartner in Brüssel finden könnten. Woelken:

„Der Lebens- du Leidensweg Felix Nussbaums besitzt mit Deutschland, Italien, Frankreich, den Niederlanden und Belgien ungemein viele europäische Bezüge. Nussbaum besitzt außerdem einen festen Platz in der europäischen Kulturgeschichte, der nicht deutlich genug präsentiert werden kann.“

Blicken wir zurück: Am 16. Juli 1998, 54 Jahre nach seiner Ermordung, wurde in Osnabrück das Felix-Nussbaum-Haus eröffnet. Mit mehr als 200 Werken beherbergt es die weltweit größte Sammlung des Malers. Das Gebäude wurde nach den Plänen des international sehr renommierten amerikanisch-jüdischen Architekten Daniel Libeskind errichtet. Die ganz besondere Sprache seiner Architektur ist äußerst eng mit dem tragischen Leben des Künstlers und dessen Tod in Auschwitz verknüpft. Die Felix-Nussbaum-Gesellschaft in Osnabrück fördert wiederum die Erforschung und Bekanntmachung des künstlerischen Oeuvres. Die Gesellschaft und ihr Vorsitzender Heiko Schlatermund, zugleich kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Osnabrücker Stadtrat, verwaltet zudem eine hochwertige Nussbaum-Sammelausstellung aus Reproduktionen der Originale, die bereits in etlichen Städten Europas mit großer Resonanz gezeigt worden ist.


Mit Öl und Leinwand durch Europa

Der Aufenthalt Felix Nussbaums in mehreren europäischen Städten beginnt lange vor seiner leidvollen Flucht vor dem Nationalsozialistismus. Der malerisch früh talentierte Osnabrücker reist bereits in jungen Jahren anno 1932 infolge eines Stipendiums für die renommierte Villa Massimo nach Rom. In sein Berliner Atelier wird er, beginnend von diesem Jahre an, nie wieder zurückkehren. Nach der Machtübergabe an die NSDAP wird eine Odyssee durch Europa folgen, die in jener Zeit nicht wenige Geflüchtete durchleiden müssen. Nussbaum malt auf allen Stationen fortwährend und dokumentiert dabei in einzigartiger Weise seinen jeweiligen Gemütszustand. Zunächst, Jahre vor seinem Exil, präsentiert sich noch der junge, von der Kritik hochgelobte Felix Nussbaum. Er malt heitere und liebevoll ironische Bilder zu Sport und Gesellschaft im naiven Stil, bei dem er sich an Henri Rousseau anlehnt. Zunehmend ist Nussbaums Gemütszustand aber von düsteren Ahnungen bestimmt, nachdem ihn das Geschehen infolge der Machtübernahme der Nazis tief bedrückt. Nussbaum wurde denunziert.

Tief traurig stimmt ihn die restliche Familie. Vor allem Vater und Mutter sind nie rechtzeitig gewillt, Osnabrück und Deutschland zu verlassen. Darum malt Nussbaum in diesem zweiten Leben, das seine Jugendhaftigkeit schlagartig beendet, mutig gegen sein Schicksal an. Vor allem beginnt er jetzt damit, für sich und für alle von der Auslöschung bedrohten Juden zu malen und dazu stets die für ihn korrekte allegorische Bildsprache zu verwenden.

Eine weitere Begebenheit verschlimmert Nussbaums Gemütszustand weiter: Im Ausland hat ihn die Nachricht vom Brand seines Ateliers erreicht. 160 seiner Bilder sind dabei zerstört worden. Von diesem Zeitpunkt an nimmt er sich eines fest vor: Nie wieder will er sich fortan von seinen Bildern trennen! Nach internen Querelen verlässt er die römische Villa Massimo und reist durch Italien. In Alessio malt er noch Bilder, die eine heitere, nahezu touristisch anmutende Atmosphäre vermitteln.

Von Italien aus reist er mit seiner Lebensgefährtin, der Malerin Felka Platek, über die Schweiz und Frankreich nach Belgien. Solange er es vermag, sorgt der zuvor vermögende Vater Nussbaums für eine ausreichende finanzielle Basis des Künstlerlebens. Für eine Weile leben Felix und Felka deshalb noch in verschiedenen Pensionen in Ostende.

Es ist die renommierte Brüsseler Künstlerszene, die das malende Paar dazu bewegt, von Ostende nach Brüssel zu ziehen. Neben heimischen Kulturschaffenden halten sich dort viele emigrierte Künstler auf. Vor allem gibt es dort auch eine Organisation, die Bedürftige mit dem Nötigsten unterstützt. Die Osnabrücker Eltern sind dazu bereits seit Jahren nicht mehr in der Lage. Ab 1938 malt Felix Nussbaum dann beinah endgültig vorwiegend nur solche Bilder, die von düsteren Ahnungen bestimmt sind.


Fluchtstationen – und ein erstes Lager

Das aktive Malen wird für Felix Nussbaum zusehends zu einem Mittel, die nötige Kraft für den bedrückenden Alltag zu tanken. Es entstehen zahlreiche Selbstporträts und Stillleben. Manche davon sind durchaus selbstironisch und dokumentieren Isolation und zusehends ärmliche Verhältnisse, mit denen sich das Künstlerpaar abfinden muss. Die Lage verschlimmerte sich dramatisch, als Felix ohne eigene Schuld verhaftet wird. Am 10. Mai 1940 wird er als „feindlicher Deutscher“ in das südfranzösische Lager Saint-Cyprien deportiert. Einziger Grund der Inhaftierung: Die reichsdeutsche Wehrmacht war kurz zuvor in Belgien einmarschiert. Nussbaum widersetzt sich: Ihm gelingt sowohl die Flucht aus dem Lager als auch die Rückkehr nach Brüssel. Seine bereits bedrückende Lagerzeit dokumentiert er in Bildern, mit denen er die elende Situation der Gefangenen verarbeitet.


Denunziert, deportiert, in Auschwitz ermordet

Nirgends können sich Felka wie Felix fortan öffentlich zeigen. Im Mai 1942 wird im Mai 1942 auch in Belgien der berüchtigte Judenstern-Erlass verkündet. Nussbaum dokumentiert diesen danach in seinem wohl berühmtesten Bild, das ungezählte deutsche Schulbücher zieren wird: „Selbstbildnis mit Judenpass“.

Stolpersteine für Nussbaum und Platek vor dem ehemaligen Wohnhaus in der Rue Archimede. Foto: OR

Im wahrsten Sinne alternativlos wird für Felka und Felix das Leben im Untergrund. Vor allem in jener Zeit malt Felix Nussbaum die Bilder, die seinen Namen berühmt machen werden: Neben dem „Selbstbildnis mit Judenpass“ werden es Werke wie „Die Verdammten“ sein. Sein letztes Bild ist im April 1944 das ungemein aussagekräftige Gemälde „Triumpf des Todes“, mit dessen Präsentation im Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus die Ausstellung seiner Werke abschließt. Kaum ein Bild ist so typisch für Nussbaums kraftvolle Bildsprache wie jenes Werk: Knochengestalten musizieren ausgelassen auf den Trümmern der abendländischen Kultur, die sich vor ihren Füßen ausbreitet. Auch die Nussbaum-typische bildnerische Eigenzitierung fehlt nicht. Sich selbst malt er inmitten des bildnerischen Geschehens als verwesenden Orgelmann mit grüner Kappe.

Das eigene Ende ist nach der Beendigung des kolossalen Werkes nicht mehr weit. Vier Wochen später, im Juni 1944, werden Felix wie Felka Platek von einem bis heute Unbekannten denunziert und aus ihrem Versteck in einer Mansarde gezerrt. Man zwängt beide in den wohl letzten Deportationszug nach Auschwitz. Beide sterben.

Ein Vermächtnis von Felix Nussbaum wird später die Basis für seine spätere Berühmtheit bilden. Es ist seine Botschaft mit den Worten:

„Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben« so hat das Vermächtnis Felix Nussbaums gelautet, nachdem er seine Gemälde dem Kunstsammler Dr. Grosfils und seinem Freund Dr. Levefre anvertraut hatte.

Grund genug also, an den Künstler sowohl in Osnabrück wie auch in seinem letzten Wohnort Brüssel gemeinsam zu erinnern.

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