Sonntag, 28. April 2024

Baruch Auerbach, Gründer des ersten jüdischen Waisenhauses in Deutschland wurde vor 230 Jahren geboren

Baruch Auerbach  war Gründer und Direktor des ersten jüdischen Waisenhauses in Deutschland

Art. 1 der Statuten: „Die Bestimmung des im Jahre 1832 von B. Auerbach gegründeten Waisen-Erziehungsinstituts ist: „Waisenkinder männlichen Geschlechts, zunächst aus der hiesigen jüdischen Gemeinde, unentgeltlich zu verpflegen, zu erziehen, allen ihren leiblichen und geistigen Bedürfnissen abzuhelfen, die verlornen Eltern ihnen zu ersetzen, oder den Verlust derselben ihnen so wenig als möglich fühlbar zu machen.“

Das war wegweisend. bis dato hatte sich die Waisenpflege der Gemeinde auf eine geringe finanzielle Unterstützung beschränkt, die viele der kinder zum Betteln zwang und ihnen kaum eine Ausbildung ermöglichte. Der pädagoge und Philanthrop Auerbach, der als Leiter der Knabenschule der Berliner Gemeinde etliche solcher Kinder in seiner Obhut hatte, wollte ihnen nun also die fehlenden Eltern ersetzen, ihnen aber auch eine angemessene Bildung und Ausbildung zukommen lassen, um sie in die Lage zu versetzen, sich als Erwachsene selbst zu versorgen. Er begann ganz klein, nahm vier Jungen auf und brachte sie in zwei Räumen im Hinterhaus der Rosenstraße 12 unter. Auerbach fand begüterte Berliner Juden, die bereit waren, seine Anstalt zu finanzieren und konnte so 1843 im Nebenhaus auch die ersten Mädchen aufnehmen. Zehn Jahre später war die Zahl seiner Zöglinge auf 50 Jungen und 26 Mädchen angewachsen und beide Anstalten zogen in die Oranienburger Straße 38 um.

Baruch Auerbachs Einrichtungen wurden als mustergültig bald auch in anderen Städten kopiert. er hatte insgesamt 300 Kinder aufgenommen, bis er 1864 mit 70 Jahren starb und auf dem jüdischen Friedhof Schönhauser Allee beigesetzt wurde. 33 Jahre nach seinem Tod bekamen die „Baruch Auerbach’schen Waisen-Erziehungsanstalten für jüdische Knaben und Mädchen“ gegenüber dem Friedhof, in der Schönhauser Allee 162, einen Neubau samt Turnhalle, Hof, Gemeinschaftsräumen und Synagoge und waren weiter beispielgebend für die jüdische Sozialfürsorge in ganz Deutschland.

Mit der Machtübergabe an die Nazis 1933 konnte das „Auerbach“, wie es genannt wurde, zunächst weiterbetrieben werden und war nach den Worten eines ehemaligen Zöglings eine „Insel im brauen Meer“, auf der dafür gesorgt wurde, dass die Schützlinge so lange wie möglich vom braunen Terror unbehelligt blieben. Bis 1942. Der „Dalli-Dalli“-Erfinder Hans Rosenthal schreibt in seinen Memoiren über seinen kleinen Bruder Gert: „Als ich ein letztes Mal ins Waisenhaus ging, um Abschied zu nehmen, hatte Gert von seinen Ersparnissen fünfzig Postkarten gekauft. Er hielt sie stolz in der Hand und zeigte sie mir: ’Hansi’, sagte er mir, ’auf diesen Postkarten steht schon deine Adresse. Ich habe sie alle vorbereitet. Alle zwei Tage werde ich dir schreiben, wo ich bin und wie es mir geht.’ ich habe nie eine dieser Postkarten bekommen. Und ich habe Gert nie wiedergesehen.“

Gert Rosenthal wurde am 19. Oktober 1942 mit 60 anderen Auerbach-Kindern deportiert und in den Wäldern bei Riga von der SS erschossen; die restlichen 75 Kinder des Hauses im Alter von zehn Monaten bis 16 Jahren wurden sechs Wochen später zusammen mit ihren Betreuern in Auschwitz vergast. Damit endet die Geschichte des bedeutendsten Berliner Waisenhauses, 110 Jahre nach seiner Gründung durch Baruch Auerbach, den Sohn eines armen Rabbiners aus Inowroclaw.


Die Namen der ermordeten Kinder, soweit bisher bekannt, lauten:

Mirjam Ancer, Denny Aron, Horst Ascher, Karin Ascher, Ralf Ren. Avram, Lot Baer, Margit Bär, Joachim Bendit, Herbert Bernfeld, Bela Binner, Richard Blumenfeld, Hans Wolfgang Blumenreich, Ingeborg Blumenreich, Abraham Bobker, Hella Bobker, Mali Bobker, Udo Brettler, Zilla Broh, Wolfgang Chocky, Abigail Cohn, Chana Cohn, Denny Cohn, Denny Cohn, Hanna Cohn, Ernst Czerniak, Herbert Czerniak, Fanny Dienemann, Herbert Donig, Margot Donig, Tana Drucker, Theo Drucker, Uri Elias, Berl Epstein, Kurt Esserholz, Walter Esserholz, Eva Felix, Michael Wolfgang Finkelstein, Dan Flanter, Gittel Fleischer, Ruth Fleischer, Zilla Friedemann, Cilla Fuks, Ruth Fuss, Thea Fuss, Lieselotte Gabriel, Joachim Glass, Manfred Glöckner, Berl Goldberg, Günther Gross, Renate Grünberg, Kurt Gumpert, Uri Gutfeld, Hildegard Halpern, Wolfgang Harf, Joel Hartstein, Michael Holzblatt, Max Jacob-Wassermann, Eva Jodeck, Wolfgang Jodeck, Manfred Jungmann, Denny Kamusiewicz, Dan Klein, Günther Klein, Johanna Klein, Eleonore Kohn, Heinz Korn, Bertha Kreimer, Helene Kreimer, Ilse Rose Kusel, Rosa Fanny Langer, Klaus Leiser, Werner Lesser, Ruth Lewin, Karla Lindner, Fanni Linial, Gideon Litwack, Grete Löbel, Lane Laura Mannheimer, Denny Maschkowski, Thomas Meyersohn, Denny Morks, Werner Paul Mörser, Bruno Moses, Hans Joseph Neumann, Hans Peilte, Rose Peilte, Machol Piek, Ruth Piek, Erwin Pisetzki, Eva Esther Plaut, Gerd Punscher, Esther Alice Raphael, Ruth Rehfeld, Rudolf Reis, Horst Reppen, Rolf Rosenbaum, Gert Rosenthal, Herbert Rothstein, Traute Rowelski, Alfred Rubinstein, Judis Rubinstein, Martha Rubinstein, Harry Sabor, Kurt Sabor, Gittel Salomon, Margarete Salomon, Max Salomon, Manfred Salomonsohn, Margot Lore Salomonsohn, Dewara Scherbel, Dan Schwartz, Arnold Seelig, Helmuth Manfred Silberstein, Vera Silberstein, Hans Spiegel, Bartel Stein, Ruth Stein, Gittel Steinfeld, Leo Stockmann, Ruth Stockmann, Ellen Doris Stroh, Joachim Süssmann, Heinrich Szek, Sigmund Szek, Eva Tuchler, Nanny Tuchler, Sitah Ulreich, Günther Victor, Ingrid Victor, Heinz Wartelski, Horst Wartelski, Ilse Weiner, Klaus Winterfeldt, Gerda Wohlgemuth, Sami Wolff, Denny Wreschinski, Hanna Zyprkowsky.

Die Fotos aus dem Auerbach entstanden zwischen 1932 und 1938Die Fotos aus dem Auerbach entstanden zwischen 1932 und 1938
Die Fotos aus dem Auerbach entstanden zwischen 1932 und 1938Die Fotos aus dem Auerbach entstanden zwischen 1932 und 1938
Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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