Samstag, 20. April 2024

Judith Kessler: Die „Jamal Twins“

Als Berta und Helena, Töchter von Fischel Alpert aus Czernowitz, hätten sie womöglich keine große Karriere gemacht. Als die „Jamal Twins“ Leila und Lamia waren sie die umjubeltsten ägyptischen Bauchtänzerinnen der 50/60er Jahre …

Dass die Stars vom Nil keine Zwillinge, keine Jamals und nicht einmal Araberinnen waren, sondern osteuropäische Jüdinnen namens Alpert, erfuhr die Öffentlichkeit erst nach ihrem Tod, nachdem der letzte Lebensgefährte Bertas, ein rumänischer Auschwitz-Überlebender, ihr Archiv 2018 der Nationalbibliothek in Jerusalem übergeben hatte.

Fischel Alpert war Violinist im Wiener Symphonieorchester. Ende der 20er Jahre ging er nach Alexandria und verliebte sich dort in die Tochter anderer jüdischer Emigranten aus Galizien, in Janine, eine Opernsängerin. Ein halbes Jahr, nachdem sie geheiratet hatten, wurde 1930 Helena und 1932 Berta geboren. Zu Anfang des Zweiten Weltkriegs zogen die Alperts nach Kairo, weil hier leichter Arbeit zu finden war. Neben der muslimischen Mehrheit gab es in Kairo Christen, Kopten und einige zehntausend Juden, neben den Einheimischen andere gestrandete Einwanderer aus Europa, jüdische Soldaten der britischen Armee und Vertreter der Jewish Agency, die versuchten, die illegale Einwanderung nach Eretz Israel zu organisieren. Die Alperts verleugneten ihre Herkunft nicht, stellten sie aber auch nicht heraus. Sie versuchten, sich zu „integrieren“.

Als Violinist wollte Fischel Alpert, dass seine Töchter Geige spielen lernen. aber sie bekamen auch schon mit fünf Jahren Ballettunterricht und bald fiel den Lehrern auf, dass sie nicht nur außergewöhnliches Talent für klassischen, sondern auch für orientalischen Tanz zeigten. als die Schwestern 12 und 14 Jahre alt waren, kamen die ersten Auftrittsangebote. Fischel Alpert wäre dagegen gewesen, aber da er seinen Job verloren hatte und die Familie das Geld brauchte, begleitete Janine, die sich nun Jini nannte, ihre Töchter zu deren heimlichen Auftritten bei Partys und bei Benefizabenden. Lange ließ sich das vor dem Vater nicht geheim halten, denn die beiden waren unter ihren Künstlernamen „Laila und Lamia Jamal“ quasi über Nacht in aller Munde.

Die Atmosphäre im Kairo des Zweiten Weltkriegs und danach begünstigte den kometenhaften Aufstieg der Schwestern. Denn in den ägyptischen Großstädten waren die Nachtklubs wie die Pilze aus dem Boden geschossen, um die vielen ausländischen Militärs zu unterhalten. Ihr erstes großes Engagement hatten die „Jamal Twins“ in einem der exklusivsten und angesagtesten Klubs von Kairo, dem „Helmieh Palace“, und wurden das Zugpferd des Ladens, vor allem, weil sie einen neuen Bauchtanzstil kreierten.

Sie boten etwas anderes als das, was man bislang zu sehen bekommen hatte. Sie legten Wert auf eine perfekte Choreografie und Abstimmung mit der Musik, auf exakte Symmetrie ihrer beider Bewegungen, auf überraschende und gewagte Elemente, auffällige Kostüme und Requisiten. All das war nur möglich durch stundenlange tägliche Proben, bei denen sie ihre Lehrer, die Musiker und ihre Mutter unterstützen. aber die Schinderei machte sich bezahlt.

Und der „Helmieh Palace“ war nur der Anfang. die Schwestern traten in über 30 ägyptischen Filmen auf, ihre Shows waren regelmäßig ausverkauft. Sie wurden überall in der arabischen Welt als die „exotischen Tänzerinnen des Sultans“ und „die tanzenden Puppen aus Ägypten“ gefeiert und auf zahllosen Zeitungscovers abgebildet – in knappsten Kleidchen, Schlange haltend, dahingegossen auf einem Tigerfell … Leila und Lamia wurden zu den wichtigsten Stars der ägyptischen Unterhaltungsbranche, ihre Namen in einem Atemzug mit denen der berühmtesten Bauchtänzerinnen und Schauspielerinnen des Landes genannt und König Faruq I. war einer ihrer größten Bewunderer.

In den unruhigen Zeiten nach dem Sturz des Monarchen 1952 und mit dem Aufstieg Nassers traten die „Jamals“ dann zunehmend im Ausland auf und eroberten Singapore, China, Japan, die Philippinen, Vietnam und Indien. Dies alles weiter im Mimikry-Modus, ohne dass das Publikum von der Herkunft der Schwestern wusste.

Wegen ihrer vielen Auslandsreisen wurden die ägyptischen Militärbehörden jedoch zunehmend misstrauisch, möglicherweise auch, weil sie natürlich gewusst haben müssen, dass die Aushängeschilder ihres Landes jüdisch waren, es inzwischen einen Staat Israel gab usw.. Ende 1957, sie waren auf einer Tournee im Fernen Osten, bekam Fischel Alpert in Kairo jedenfalls einen Wink, dass ein Haftbefehl wegen Spionage gegen seine Töchter und ihre Mutter, die sie auf den Reisen immer begleitete, erlassen worden war. er beschwor die drei, nicht zurückzukommen.

Die Tänzerinnen fanden auch sofort einen amerikanischen Impresario, der sie engagieren wollte, hatten allerdings keine Visa. Zufällig besuchte am gleichen Abend eine Delegation amerikanischer Kongressabgeordneter den Nachtklub in Bombay, wo die Jamals auftraten und sollen derart begeistert von deren Performance gewesen sein, dass sie ihnen umgehend Einreisevisa besorgten.

In Amerika nannten sich „Leila und Lamia“ dann „Lin und Liz“, traten nun erfolgreich im New Yorker Quartier Latin auf, u. a. mit Eddie „the sheik“ Kochak und der irakischen Geigerin Hakki Obadia, die amerikanische und arabische Musik fusionierten, heirateten aber beide bald Geschäftsmänner, die vermutlich nicht wollten, dass ihre Frauen ihre Bäuche vor anderen wackeln ließen. In den 60er und 70er Jahren unterrichteten sie nur noch, galten in dieser Zeit aber als die besten Bauchtanz-Lehrerinnen außerhalb der orientalischen Welt. Helena starb 1992, Berta 2016.

Ein Hoch auf die Lailas, Helenas, Lamias und Bertas dieser Welt!
Bäuche statt Bomben!

 

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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