Warum die AfD jetzt jubeln darf
„Herr Merz, Sie haben geholfen, einen historischen Moment hervorzubringen. Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche. Jetzt beginnt etwas Neues. Und das führen wir an, das führen die neuen Kräfte an, das sind die Kräfte von der AfD.“ Die Vorherrschaft von rot-grün sei nun am Ende. So bejubelte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, gestern höhnisch den Abstimmungserfolg über den Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion, den Friedrich Merz eingebracht hatte.
Der Jubel auf Seiten der AfD war so offenkundig wie die offene Häme gegenüber der CDU, die sie, wie ihr Altvorderer Alexander Gauland es einmal nannte, „jagen werden“. Die zynische Dankbarkeit der Rechtsextremen brachte diesen Tag, der bizarrer nicht sein konnte, auf den traurigen Begriff.
Am Mittag saß man (noch) ergriffen und beschämt im Plenarsaal des Bundestages zusammen, um des achtzigsten Jahrestags der Befreiung des Massenvernichtungslagers Auschwitz zu gedenken. Der große Förderer der AfD, Elon Musk, hatte nicht nur der AfD empfohlen, nicht zu sehr auf diese Geschichte zu schauen.
Die Erfahrungen aus dieser an Grausamkeiten reichen Zeit waren ein wesentlicher Grund dafür, dass das Asylrecht in unserem Grundgesetz einen hohen Stellenwert erhielt. Dass es von Konservativen nie geschätzt wurde, ausgenommen wenn es um Verfolgte aus kommunistischen Ländern ging, sei nur beiläufig in Erinnerung gerufen.
Gestern Nachmittag stand es zur Revision bis hin zur klammheimlichen Abschaffung. Aber es ist nur die Spitze des Eisberges, und die ist die „Mutter aller Probleme“, und die ist für die Rechte die Migration. Sie ist der Nektar, aus dem sich die Rechten allerorten nähren. Die Frage, ob man ihnen den Wind aus den Segeln nimmt, indem man ihre Themen (und damit die Sorgen und Ängste der Bürger) übernimmt oder ob man dadurch diesen Themen erst eine Aufwertung zum Nutzen derer gibt, denen man sie abnehmen möchte, ist ein Problem.
Es ist mit Blick auf die Erfahrungen in unseren europäischen Nachbarländern empirisch beantwortbar: Alle konservativen oder christlichen Volksparteien sind daran in den letzten Jahrzehnten zugrunde gegangen.
Warum das den Unionsparteien anders ergehen sollte, ist nicht sicher, zumal es kein Geheimnis ist, dass es mindestens in der zweiten und dritten Reihe der Unionsparteien nicht nur im Osten offene Sympathien für politische Zusammenarbeit mit der AfD gibt. Eine Partei die sich nicht „verbürgerlicht“ (als wenn das ein Zeichen der Mäßigung sein müsste), sondern im Gegenteil radikalisiert. Den sich „christlich“ nennenden Unionsparteien ist es sogar völlig gleichgültig, dass sie von den christlichen Kirchen für ihre Migrations- und Asylpolitik heftig kritisiert werden.
Was steckt hinter diesem Aktionismus, der nichts unmittelbar bewegt? Die Hoffnung auf ein paar Prozentpunkte mehr? Das mag bei der von allen guten Geistern verlassenen FDP ein rationales Kalkül sein, sich in letzter Minute über die Fünfprozenthürde zu retten. Die Unionsparteien werden damit eher Promille als Prozente einfahren. Soweit es um Berechnung geht, fällt auf, dass Merz nicht nur bei der Einbringung der Anträge schon im Vorfeld nicht die „Mitte“ als Partner der Gemeinsamkeit suchte, um der AfD ein Thema gemeinsam zu entreißen.
Er setzte Forderungen an die Spitze, die für die „Mitte“ (wozu die FDP dann nicht zählt) unerfüllbar waren. Ähnlich robust verhält sich der Kanzlerkandidat Merz schon in Bezug auf künftige Koalitionsverhandlungen, indem er einen grundlegenden „Politikwechsel“ zu seinen Bedingungen fordert.
Die FDP buhlt um diese Rolle, aber selbst wenn sie den Wiedereinzug ins Parlament schafft, reicht sie als Koalitionspartner für eine Mehrheit nicht aus. Wenn die AfD dafür ebenfalls entfällt, bleiben nur die beiden verbliebenen Ampelparteien SPD und Grüne. Über die Grünen schwebt das Unvereinbarkeitsschwert der CSU, über der SPD mindestens die Person Scholz.
Es ist also Stand heute wahrscheinlich, dass es keine politische Mehrheit für eine stabile Regierungsbildung gibt. Das wäre dann keine Regierungskrise mehr, sondern eine Staatskrise, und wir hätten einen Quasi-Ausnahmezustand, der wie in der Asyl- und Migrationsfrage verstärkt durch allerlei weitere bedrohliche Krisen nach außerordentlichen Maßnahmen verlangt.
Neuwahlen würden lediglich die Rechte noch stärker machen (siehe Österreich), also bliebe statt einer formellen Koalition mit der AfD das Experiment einer Minderheitsregierung, die sich für ihre „richtige“ Politik die Stimmen holt, egal woher sie kommen. Denn entscheidend ist, ob das Richtige dabei herauskommt, was unser Land vor dem drohenden Absturz bewahrt. Man wird sich wundern über die Größe der Schnittmenge von Unionsparteien und AfD gerade in der Wirtschafts- und Sozialpolitik und weit darüber hinaus. Selbst in der Außenpolitik werden durch Trump die Verhältnisse neu gemischt.
Der Auftakt, so wird es wohl später mal in den Geschichtsbüchern stehen, für die große „innere Wende zur nationalen Wiedergeburt“ war die Abstimmung am 29. Januar 2025. Angela Merkel, die das Vorgehen der Unionsparteien scharf kritisiert hat, ist eben nicht die CDU oder gar CSU. Wie lange hält diese Partei das Unvereinbare noch zusammen?
Die Bundestagswahl ist diesmal wahrhaftig eine Richtungsentscheidung. Das Wahlrecht wird zur Wahlpflicht, und niemand sage später, man habe es nicht kommen sehen. Man sieht schon an den Auftritten der jubelnden AfD-Vertreter wie Frau Weidel in ihren hasserfüllten Reden, was an Taten auf uns zukommt, wenn sie die Macht übernehmen. Um gesellschaftlichen Zusammenhalt wird es da so wenig gehen wie um Wohlstand für alle. Von anderen Menschheitsaufgaben ganz zu schweigen. Von einer Politik, die nur von Feinbildern lebt, ist nichts Humanes zu erwarten. Also tue jede und jeder jetzt ihren und seinen Teil dazu bei, dass es uns erspart wird, dass wir Helden werden müssen.