OR-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ – Folge 3: Emil Berckemeyer

Die OR-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ (dort finden sich auch Links zu allen bislang erschienenen Folgen dieser Serie) widmet sich einem spannenden, aber bisher kaum bekannten Thema: Sie erinnert an mutige Menschen, die sich aktiv dem Nazi-Terror und seinen menschenverachtenden Ideen widersetzt und dafür ihr Leben riskiert haben. Links zu bislang erschienenen Folgen am Ende des Textes.

 

Emil Berckemeyer
Als Freimaurer unter dauernder Überwachung der „Nazi-Gestapo“

Der Osnabrücker Kaffeefabrikant Emil Berckemeyer ist der einzige Osnabrücker, von dem bekannt ist, dass er Kontakte zum Kreis der Verschwörer des 20. Juli hatte, dem militärischen Widerstand gegen Hitler, der mit dem erfolglosen Attentat durch Graf Stauffenberg endete. Der Blick auf das Umfeld dieses Osnabrückers zeigt die Vernetzung der verschiedenen Widerstandskreise, von denen der „akademische“ Widerstand der Weißen Rose und der militärische des 20. Juli 1944 bekannter sind als zum Beispiel der Arbeiterwiderstand. Auch religiöse Sozialisten spielten eine Rolle. Kaum bekannt ist die Beteiligung einiger von den Nationalsozialisten verfolgten Freimaurer am Widerstand.

Emil Berckemeyer wurde am 6. Dezember 1879 in Osnabrück geboren.Er musste nach der Mittleren Reife am Osnabrücker Ratsgymnasium und der Ausbildung als Apotheker nach dem frühen Tod des Vaters für die Mutter und Geschwister sorgen. Mit „eisernem Fleiß und mit großer Energie“ baute er die vom Vater Emil Berckemeyer sr. gegründete Kolonialwaren-Großhandlung aus, die sich seit 1887 auf den Handel mit Kaffee spezialisiert hatte und eine Kaffeerösterei betrieb.

Der Sohn machte die Firma zu einer der bedeutendsten Großhandlungen in Osnabrück. Emil Berckemeyer war zugleich Mitinhaber der Kaffee-Firma Berckemeyer, Patenheimer & Co. in Hamburg. Dort war ein Zweig der ursprünglich aus Lengerich stammenden Familie Berckemeyer ebenfalls erfolgreich geschäftlich tätig. Seine Hochzeitsreise mit der Deutsch-Amerikanerin Sadie Schoverling führte den Osnabrücker Unternehmer 1909 in die USA, wohin vier Brüder seines Vaters ausgewandert waren. Das Ehepaar Berckemeyer hatte eine Tochter, Ruth, „der Sonnenschein des Hauses“. Sie heiratete den Kaffee-Großhändler Hermann Uthoff. Nicht nur Berckemeyers Vater hatte sich als Stadtverordneter politisch engagiert, auch seine Tante Amalie Billmann (1859-1943) tat das, und saß für die nationalliberale Deutsche Volkspartei im Osnabrücker Rat. Emil Berckemeyer engagierte sich aber nicht parteipolitisch.

Geschäftsreisen führten den Kaffeefabrikanten in den 1920er Jahren zur Niederlassung der Firma in Guatemala und in die USA, zur britischen Kolonial-Ausstellung British Empire Exhibition im britischen Wembley Stadion und nach Dänemark. Der Geschäftsmann war Mitglied der Osnabrücker Harmonie-Gesellschaft, ein beliebter Treffpunkt der bürgerlichen Gesellschaft an der Hakenstraße, wo sich auch Berckemeyers Firmensitz befand. Außerdem gehörte er dem Roten Kreuz und dem Allgemeinen Deutschen Automobil-Club an. Als Lebensmittel-Großhändler fuhr er oft in die Niederlande, um Käse- und Butterfabrikanten aufzusuchen. Die Reisen verband er mit privaten Besuchen. Berckemeyer war mit dem Direktor der Heineken-Brauerei in Rotterdam, Julius Berckemeyer verwandt, und hatte Freunde in Almelo und Den Haag.

Seit 1916 gehörte der evangelisch-lutherische Berckemeyer der Osnabrücker Freimaurer-Loge Zum Goldenen Rade an. Die Mitgliedschaft in einer Loge wurde 1933 zum Problem. Hitler mochte keine Freimaurer, sein Propagandaminister Goebbels sprach von einer angeblichen „Weltverschwörung“ aus Judentum, internationaler Freimaurerei und internationalem Marxismus, die Deutschland bedrohe. Wie heutige Anhänger von Verschwörungsmythen behaupteten die Nazis, Juden und Freimaurer steckten unter einer Decke.

Vergissmeinnicht als Freimaurersymbol

In die Freimaurerei werden Menschen jeder Hautfarbe, jedes Glaubensbekenntnisses und jeder Religion aufgenommen und akzeptiert. Das schließt Juden ein. Wenn unterschiedliche Menschen sich mit solchen treffen, die die gleichen Werte und Prinzipien wie Ihre Gruppe vertreten, ist es schwieriger, Propaganda über die Realität zu akzeptieren. Freimaurer werden ermutigt, für sich selbst zu denken, an sich selber zu arbeiten, um sich zu verbessern, anderen zu helfen und humanitäre Werte zu entwickeln. Rituale und Zeremonien werden vor dem Uneingeweihten geheim gehalten, weil es eine jahrhundertealte Tradition ist. Die Nazis mochten keine Geheimnisse und keine Organisationen, die gegen ihre eigene Denkweise und Sichtweise davon verstießen, wie die Welt sein sollte. Die Freimaurer schienen ihnen gefährlich wegen ihres Glaubens und weil es viele Akademiker und Wissenschaftler unter ihnen gab, die die nationalsozialistischen Theorien in Frage stellten. Im Protokoll der Dortmunder Loge Zur Alten Linde heißt es etwa schon 1931, man habe als Freimaurer keine Veranlassung, Antisemitismus oder Propaganda für die NSDAP zu treiben und wolle „in Deutschland nicht das Trennende, sondern das Einigende zu finden suchen“. Auch habe man in der Loge gute Erfahrungen mit besuchenden jüdischen Brüdern gemacht.

Die sukzessive Auflösung der Freimaurerlogen durch die Nationalsozialisten ab 1933 war von Plünderungen, Verhaftungen und vereinzelten Morden begleitet. 1934 ergingen Bestimmungen gegen die Freimaurerei: Sie hatte dafür Sorge zu tragen, die Orden ab jetzt arisch zu halten, und Parteifunktionären zu rituell-symbolischen Tempelarbeiten Zutritt zu gewähren. Das bedeutete, dass die Gestapo die Rituale in der Loge ebenso überwachen wollte wie sie das beim Gottesdienst in der Osnabrücker Synagoge tat. Um einem Verbot zu entgehen, passten sich die Freimaurer den Bestimmungen an. Doch am 17. August 1935 ordnete der Reichsminister der Innern, Wilhelm Frick, dennoch ein grundsätzliches Verbot der Freimaurerei in Deutschland an. Bereits zwei Monate früher, am 22. Juni 1935, verboten die Nazis freimaurerische Zusammenkünfte in Osnabrück und unterbrachen damit die Tradition der seit 1807 bestehenden Loge Zum Goldenen Rade.

In der Gastwirtschaft Grüner Jäger trifft sich seit 1874 die Klause, der „älteste Stammtisch Osnabrücks“. Ein Mitglied dieser Gruppe berichtete 1946, dass der humanistisch ausgerichtete Stammtisch in der NS-Zeit fast ausschließlich aus Freimaurern bestanden haben soll, auf jeden Fall aber am Klausentisch „kein Anhänger oder Aktivist des Naziregimes geduldet wurde“. Auch in Dortmund gab es bis Kriegsausbruch einen derartigen Stammtisch. Teils wurden diese Treffen von Freimaurern dort geduldet, teils aufgelöst. Leider ist hierüber für Osnabrück nichts Näheres mehr in Erfahrung zu bringen. Friedrich Jandeck, langjähriger Präsident der Osnabrücker Klause, teilte auf Anfrage der Osnabrücker Rundschau mit, dass ihm von „inoffiziellen“ Stammtischen der Loge im Grünen Jäger nach dem Verbot der Logen nichts bekannt sei.

Emil Berckemeyer war mit einem Dortmunder Freimaurer befreundet, dem Lehrer Dr. Emil Figge (1899-1974). Der spätere Professor und Rektor der Pädagogischen Hochschule Ruhr in Dortmund gehörte zu einer Gruppe Intellektueller, ehemaliger Parteifunktionäre und Pädagogen, die sich am sozialdemokratischen Widerstand in Dortmund beteiligten. Sie lehnten aussichtslose illegale Aktionen ab und hielten die Bildung von zwanglosen Diskussionszirkeln für politisch sinnvoll, so wie es auch der Osnabrücker Eekenpacht-Kreis tat. Figge organisierte in Dortmund Konferenzen im Untergrund. Bevor er ab 1940 im Oberkommando des Heeres bei Berlin als Verpflegungsoffizier diente, war er nach seiner Aussage in Osnabrück tätig. Vermutlich lernte Figge Emil Berckemeyer in der heute noch existierenden Osnabrücker Freimaurerloge Zum Goldenen Rade kennen. Nach der Niederlage in Stalingrad wurde der Pädagoge im Februar 1943 aufgrund von defätistischen Äußerungen verhaftet und zu achtzehn Monaten Haft in der Festung Torgau verurteilt.

Figge hatte Kontakte zu dem ehemaligen SPD-Mitglied Ernst Müller, Schulrat, SPD-Mitglied, Mitglied der Friedensbewegung und Referent der Liga für Menschenrechte und „einer der profiliertesten Widerstandskämpfer in Westfalen“, und zu dem ehemaligen preußischen Kultusminister und religiösen Sozialisten Adolf Grimme, der wiederum Kontakte zum Widerstandsnetzwerk der Roten Kapelle unterhielt. 1933 kam Figge auch in Kontakt zur Berliner Widerstandsgruppe um den SPD-Politiker Wilhelm Leuschner (1890-1944). Leuschner war ebenfalls Freimaurer. Er war Mitglied der Loge Johannes der Evangelist zur Eintracht in Darmstadt. Leuschner zog sich die erbitterte Feindschaft der Nationalsozialisten zu, als er 1931 Umsturzpläne der nationalsozialistischen Führer in Hessen öffentlich machte. Nach der Machtübergabe an Hitler wurde der Sozialdemokrat im April 1933 gezwungen, von seinem Amt als hessischer Innenminister zurückzutreten. Weil er als Gewerkschaftler die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten verweigerte, wurde er 1933 mehrmals inhaftiert und im Konzentrationslager Börgermoor im Emsland misshandelt. Nach seiner Entlassung aus dem Lager im Juni 1934 begann er mit dem Aufbau eines Widerstandsnetzwerks

Wilhelm Leuschner hatte Kontakt zum Kreisauer Kreis als Zentrum des bürgerlich zivilen Widerstands und ab 1939 zu Carl Friedrich Goerdeler, einem der führenden zivilen Köpfe der Widerstandsbewegung, die 1944 das Attentat auf Hitler mit vorbereitete. Die verschiedenen Kreise der Religiösen Sozialisten, der illegalen Gewerkschaften und der militärische Widerstand des 20. Juli waren untereinander vernetzt. Leuschner gelang es, „in alle Lager des Widerstands Brücken zu bauen und diesen zu organisieren“. Er traf sich auch mit führenden Militärs, darunter Claus Schenck Graf von Stauffenberg.

Über seinen Freund Emil Figge stand auch der Osnabrücker Emil Berckemeyer in Kontakt zu diesem Kreis. Figge sagte über ihn: „Mein Freund Berckemeyer hasste als alter Freimaurer die Nationalsozialisten bis auf den Grund seiner Seele.“ Allerdings war das nicht von Anfang an der Fall. Am 13. Oktober 1933 erklärte Berckemeyer in einem Schreiben an die Loge, dass er sich „der heutigen nationalsozialistischen Bewegung aus persönlicher Überzeugung mehr widmen“ wolle. Daher könne er zu seinem Bedauern nicht mehr Mitglied des Ordens sein. Der Brief macht noch einmal die deutliche Distanzierung der Freimaurerei zum Nationalsozialismus deutlich. Doch auch Emil Berckemeyer ging bald auf Distanz. Anscheinend wandelte sich das anfängliche Interesse an der „Bewegung“ sehr schnell in eine vehemente Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Es kam nicht einmal zu einer Parteimitgliedschaft. Berckemeyers oppositionelle Haltung scheint der Partei bekannt gewesen zu sein, vielleicht gerade deshalb, weil er anfangs zu ihr Kontakt gesucht hatte. Berckemeyer bezeichnete sich jedenfalls trotz seines Austritts nach dem Krieg weiter als „alter Freimaurer“.

Er berichtete nach Kriegsende, dass er sich ständig im Fokus der „Nazi-Gestapo“ befand und diese seine Überwachung zur Chefsache machte. Emil Figge bestätigte, dass Berckemeyer unter dauernder Überwachung der Gestapo stand. Die „Überwachungsbesuche“ wurden 1944 durch den Gestapoleiter, Hauptsturmführer Fritz Rascher, persönlich durchgeführt, der Ende 1943 die Leitung der Gestapo Osnabrück übernommen hatte. Man fürchtete wohl die guten Kontakte des durch seinen Beruf international vernetzten Fabrikanten. Ob Berckemeyer seine umfangreichen Geschäftsverbindungen, auch nach Übersee, das Netz der weitverzweigten und durchaus einflussreichen Familie Berckemeyer oder seine alten Kontakte zu anderen Freimaurern wie Emil Figge nutzte, um die Widerstandsbewegung zu unterstützen, ist bisher nicht bekannt. Da er keiner einzigen NS-Organisation angehört hatte, hatte er es nicht nötig, nach dem Ende des NS-Regimes Rechenschaft abzulegen. Darum ist seine Entnazifizierungsakte eine der dünnsten im Osnabrücker Landesarchiv, und damit leider auch für die Forschung unergiebig. Selbst seine Kontakte zum Kreis des 20. Juli erwähnt Berckemeyer eher beiläufig. Die offenen Fragen zu dieser Osnabrücker Persönlichkeit zeigen, welchen dringenden Forschungsbedarf es zum Thema des Widerstands in Osnabrück noch gibt.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler durch Graf Stauffenberg wurde auch Wilhelm Leuschner vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler zum Tode verurteilt und am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee erhängt. Er wurde nicht wegen seiner Mitgliedschaft in der Freimaurerei, sondern als Widerstandskämpfer hingerichtet. Emil Figge und sein Freund Emil Berckemeyer entgingen diesem Schicksal. Berckemeyer wurde wegen seiner – wenn auch vermutlich nur indirekten – Kontakte zu den Verschwörern nach dem Attentat am 20. Juli zwar verhört, aber wieder freigelassen. Doch etliche andere deutsche Freimaurer wie sie, darunter der SPD-Reichstagsabgeordnete Julius Leber und der Schriftsteller und Pazifist Carl von Ossietzky, fielen wegen ihrer in der Freimaurerei verwurzelten ethischen Gesinnung den Nationalsozialisten zum Opfer, aufgrund derer sie sich im Widerstand engagierten.


Artikel des ILEX-Kreises zum „Braunen Haus“
Denkschrift ILEX-Kreis als PDF-Datei

Folge 1: Walter Bubert
Folge 2: Hans Bodensieck

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