Ludwig Landwehr
Osnabrücks bekanntester Kommunist
Beleuchtet man Biografien von Menschen, die bis 1945 Widerstand geleistet haben, gibt es eine Personengruppe, die es in der offiziellen Geschichtsschreibung bis heute schwer hat, als kämpfende Organisation gegen den Naziterror gewürdigt zu werden: Angehörige der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Die Ausgrenzung hatte stets Konsequenzen. Die Partei wird in ihrer Geschichte gleich mehrmals, zuletzt 1933 und 1956, zerschlagen und kriminalisiert. Es zählt zu den makabren Realitäten der bundesdeutschen Geschichte, dass kommunistische Verhaftete, in der Nazi- wie in der Adenauer-Zeit, in zahllosen Fällen auf gleiche Richter, gleiche Staatsanwälte, zuweilen auch auf gleiche Gefängniswärter stoßen.
Am Lebensweg des Osnabrückers Ludwig Landwehr lässt sich das Schicksal eines deutschen Kommunisten nahezu beispielhaft darstellen. Zugleich spiegelt es ein vielfach vernachlässigtes Schicksal deutscher Antifaschisten wider.
Proletarier mit Stehkragen
Der Sozialismus als Vision einer klassenlosen Gesellschaft wird dem kleinen Ludwig bereits bei seiner Geburt am 13. Mai 1897, wie es so schön heißt, „in die Wiege gelegt“. Sein Vater ist überzeugter Sozialist, arbeitet bei den Eisenbahn-Betriebswerken und hat bereits 1892 zu den Gründungsmitgliedern des Sozialdemokratischen Wahlvereins in Osnabrück gezählt.
Der weitere Werdegang des jungen Sozialisten ist damit vorgeprägt. Schon im Alter von zehn Jahren lauscht er begeistert im Gasthaus Vennemann in der Meller Straße einer Rede des SPD-Vorsitzenden August Bebel. Bereits mit 14 Jahren wird der heranwachsende Ludwig Mitglied der Arbeiterjugend, einer Jugendorganisation der Sozialdemokratischen Partei. Zumal der junge Mann begabt ist und sich durch gute schulische Leistungen auszeichnet, erspart ihm die Familie den Berufsweg des klassischen Proletariers in Werkstatt oder Fabrikhalle. Landwehr junior wird stattdessen Beamtenanwärter bei der Stadt Osnabrück. Er beginnt sich somit auf einen beruflichen Werdegang vorzubereiten, dessen Protagonisten allzu gern als „Stehkragenproletarier“ bezeichnet werden. Im Gegensatz zu vielen Berufskollegen, die sich als etwas „Besseres“ empfinden und naserümpfend auf Arbeiterinnen und Arbeiter an der Werkbank herabblicken, sieht der junge Ludwig Landwehr vor allem gemeinsame Interessen, welche alle abhängig Beschäftigten vereinen, egal, ob sie einen Blaumann oder Anzug tragen.
Erfahrungen im Weltkrieg: Bruch mit der Mehrheits-SPD
Von 1915 bis 1918 ist es mit der betulich anmutenden Berufslaufbahn vorerst vorbei. Landwehr wird Soldat im Ersten Weltkrieg. Er erlebt dessen bestialische Brutalität und entwickelt sich spätestens hier zum entschiedenen Kriegsgegner. Der Weltkrieg lässt ihn an seiner Partei verzweifeln. Nachdem die SPD-Reichstagsfraktion bei der Reichstagsentscheidung am 4. August 1914 noch diszipliniert einstimmig für die Kriegskredite des Ersten Weltkriegs gestimmt hat und sich am 6. April 1917 in Opposition zu dieser Haltung eine Unabhängige Sozialdemokratische Partei als Partei der Kriegsgegner bildet, ist der Soldat Landwehr schon frühzeitig dabei und schließt sich in seinem süddeutschen Militärstandort der USPD an.
Das Ende des Kriegsinfernos im November 1918 erlebt Landwehr als Unteroffizier im Schwarzwaldstädtchen Calw. Der Osnabrücker betätigt sich sofort führend im dortigen Arbeiter- und Soldatenrat. Er spricht erstmals vor Tausenden, entdeckt dabei sein großes Rednertalent und wird Delegierter für den Zentral-Soldatenrat in Stuttgart. Tief enttäuscht muss er anschließend erleben, dass SPD-Protagonisten wie der spätere Reichspräsident Friedrich Ebert und sein Reichswehrminister Gustav Noske, auch mithilfe reaktionärer Freikorps, alles daransetzen, die Revolution noch im Keim zu ersticken. Formal gibt es eine demokratische Republik. Doch die wirtschaftlichen Macht- und Führungspositionen in Bildung, Justiz, Heer und Verwaltung besetzen schnell wieder die alten Eliten. Auch parlamentarisch sind der Arbeiterbewegung für echte Verbesserungen die Hände gebunden. Es kommt am 19. Januar 1919 zu einer bürgerlichen Mehrheit in der verfassungsgebenden Nationalversammlung. Landwehrs USPD erzielt enttäuschende 7,6 % der Stimmen.
Über Umwege ist er Im Frühjahr 1919 wieder in seiner Heimatstadt Osnabrück. Schnell nimmt er in der örtlichen USPD eine führende Funktion ein. Im Rathaus wird er außerdem wieder als Beamtenanwärter eingestellt und bucht Geldbeträge in der klammen Stadtkasse.
März 1920: Bewährungsprobe Kapp-Putsch
Am 13. März 1920 putschen nationalistische Militärs, teilweise mit aufgepinselten Hakenkreuzen auf ihren Stahlhelmen, unter Führung des Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp und des Generals Freiherr von Lüttwitz in der Reichshauptstadt Berlin. Das bis an die Zähne bewaffnete Freikorps Lichtschlag in der Caprivi-Kaserne ist jene Unterstützer-Truppe, die für die Putschisten in Osnabrück dafür sorgen soll, dass die gerade erkämpfte Republik wieder zerschlagen und altkaiserliche Machtstrukturen hergestellt werden.
Doch die Rechten haben sich verkalkuliert: Gewerkschaften, Mehrheits-SPD und USPD finden trotz massiver Differenzen zur Einheit gegen die Republikfeinde. Die geschlossene Arbeiterbewegung ruft zum reichsweiten Generalstreik auf. Es dauert nicht lange, ehe sich auch Osnabrücker Gewerkschafter, Mehrheits- und Unabhängige Sozialdemokraten zur Bildung einer Abwehrfront zusammenfinden.
Ludwig Landwehr besetzt schnell eine führende Position. Er zählt zum Osnabrücker Aktionsausschuss, der den Generalstreik in der Hasestadt koordiniert. Sein Domizil bezieht der Kreis im Lokal Vennemann in der Meller Straße. Neben Landwehr zählen zum Führungskreis die beiden MSPD-ler Otto Vesper (Mitglied der verfassungsgebenden Nationalversammlung), sein Genosse Heinrich Groos sowie das USPD-Mitglied und Sekretär des Metallarbeiterverbandes Gustav Haas.
Der flächendeckend verteilte Aufruf des Aktionsausschusses zum Streik spricht sich unter den Beschäftigten der Stadt wie ein Lauffeuer herum – und wird prompt befolgt: Die städtischen Ämter, das Kupfer- und Drahtwerk, das Eisen- und Stahlwerk, auch kleinere Betriebe, die Post, die Straßenbahn und die Eisenbahnwerkstätten, selbst Theater und Kinos sind unter Beteiligung Landwehrs im Nu lahmgelegt.
Waffenklirren auf dem Westerberg
Landwehr erkennt schnell, wo die größte Gefahr verortet ist. Sie droht vom Westerberg. In der Caprivi-Kaserne salutieren kampfbereite Angehörige des Freikorps Lichtschlag unter ihrem Kommandeur, dem kriegsdekorierten Osnabrücker Hauptmann Otto Hasenclever. Über dem Kasernenhof flattert bereits demonstrativ die schwarz-weiß-rote Fahne des kaiserlichen Reiches, was als offene Kampfansage an das Schwarzrotgold der offiziellen Flagge gilt.
Die Truppe ist nicht nur mit Sturmgewehren, sondern auch mit etlichen MG, Mörsern und Geschützen bis an die Zähne bewaffnet. Postwendend wäre damit ein Blutbad in vielen Wohnvierteln Osnabrücks angerichtet. Die Angst der Menschen hat ihre Ursachen: Wie ihre Gesinnungsgenossen von der Hakenkreuz tragenden Brigade Erhardt rühmen sich die Lichtschlag-Kämpfer damit, im Vorjahr etliche für ihre Rechte kämpfende Bergleute und Stahlarbeiter im Ruhrgebiet unter Befehl ihres Generalleutnants Oskar Freiherr von Watter blutig niedergemetzelt zu haben. Die an all ihren Standorten 2.500 Kämpfer zählende Lichtschlag- Truppe ist auch deswegen, das weiß man auch in Osnabrück, als „Freikorps Totschlag“ gefürchtet. Landwehr tritt sofort dafür ein, die Republikfeinde unbedingt zu entwaffnen. Osnabrücker Rechte erkennen auch deshalb schon früh, dass sie es mit einem Todfeind nationalistischen Denkens zu tun haben.
Redner auf stadtweiten Kundgebungen der Arbeiterbewegung fordern immer wieder unter großem Beifall den sofortigen Rücktritt der Putsch-Regierung und deren harte Bestrafung. Im Vordergrund stehen vor allem organisatorische Fragen, um die Ziele des Generalstreiks flächendeckend zu erreichen. Ein schwierigeres Gespräch führen die Streikvertreter, begleitet von Oberbürgermeister Rißmüller, mit Verantwortlichen der Lichtschlag-Truppe, die in der Caprivi-Kaserne rund 200 Bewaffnete zählt. Landwehr kennt die Truppe gut. Schon zuvor ist er Zeuge gewesen, wie Angehörige des Freikorps rund zwei Monate zuvor eine Versammlung der Deutschen Friedensgesellschaft gestürmt und den Sohn des Vorsitzenden der Vereinigung durch Schüsse zum Krüppel gemacht haben. Im später folgenden Prozess wird Landwehr als Zeuge miterleben, dass der verantwortliche Schütze, ein Ulan Esser, mit einer Strafe von nur sechs Wochen Gefängnis auf Bewährung davonkommt.
Gleichwohl: Die geballte Stärke der Arbeiterschaft verschafft sich im Osnabrücker Kapp-Putsch-Geschehen Eindruck. Die Runde einigt sich schließlich darauf, dass die Truppe die Stadt Osnabrück zeitnah verlassen soll. Bis zum Bahnhof soll sie freies Geleit haben. Bei vielen Beteiligten dürfte die Hoffnung mitgespielt haben, dass das „Freikorps Totschlag“ am Ankunftsort endgültig entwaffnet werden soll.
Einsam kämpft am Ende allein Landwehr weiter für dieses Ziel. Die anderen Mitglieder der Streikführung sehen in einer erzwungenen Entwaffnung das immense Risiko, dass die rechte Truppe exakt jene Waffen gegen die Osnabrücker Bevölkerung sprechen lässt. In der Folgezeit ziehen die Antidemokraten tatsächlich waffenstrotzend weiter und werden später im Ruhrgebiet in Kämpfe mit streikenden Arbeitern verwickelt. Lichtschlag-Kommandant Hasenclever kommt dabei um. Auf dem Johannisfriedhof wird ihm danach ein protziges Ehrengrab gewidmet.
Die Isolation in der Streikleitung besitzt für Ludwig Landwehr eine Signalwirkung. Im Oktober 1920 zählt er zur Mehrheit der USPD-Mitglieder, die sich auf ihrem Parteitag in Halle, Landwehr ist persönlich dabei, zum Beitritt in die neu gegründeten Kommunistischen Internationale (Komintern) bekennen. Er steht wie die anderen dafür ein, fortan den Führungsanspruch der Sowjetunion zu akzeptieren und tritt wie die Parteimehrheit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, die bis dahin nur eine Splitterpartei gewesen ist. Der allergrößte Teil der USPD-Minderheit, die – wie auch der Osnabrücker USPD-Genosse Gustav Haas, diesen Schritt ausdrücklich ablehnen, kehrt bis 1922 in die SPD zurück.
Wege zum Fulltime-Kommunisten
Landwehrs Tätigkeit als städtischer Beamter schützt ihn nicht davor, schnell kriminalisiert zu werden. Im Krisenjahr 1923 wirft man ihm unter Berufung auf einen Erlass des preußischen SPD-Innenministers Carl Severing vor, Aufstandsvorbereitungen organisiert zu haben. Mit anderen KPD-Genossen wird der so Beschuldigte zur Jahreswende im Sennelager bei Bielefeld inhaftiert. Alle erleben elendige Haftbedingungen. Am Ende wird Landwehr aber freigesprochen und kann somit unbeschadet im Wohlfahrtsamt der Stadtverwaltung weiterarbeiten.
Längst ist der rote Beamte dermaßen in die Parteiarbeit eingespannt, dass eine „normale“ berufliche Tätigkeit als Hemmschuh begriffen wird. Spätestens mit der Annahme seines Mandats als Osnabrücker Bürgervorsteher, einem alten Begriff für den Stadtrat, schließt dies auch offiziell eine weitere Tätigkeit in der Stadtverwaltung aus. Landwehrs weiterer Weg ist eh vorgezeichnet: Er ist fortan auch hauptamtlich für die KPD tätig. Überregionale Kandidaturen bleiben allerdings erfolglos. Anno 1924 ist er KPD-Reichstagskandidat und bewirbt sich in den Folgejahren mehrfach für ein Mandat der KPD für den Hannoverschen Provinziallandtag. 1924 hat er zuvor seine Heimatstadt verlassen. Er wird Redakteur der kommunistischen Arbeiter-Zeitung in Bremen und gehört dort der Bezirksleitung Nordwest an.
Im Jahre 1926 erfährt die Parteiarbeit Landwehrs allerdings einen herben Rückschlag. Der im Kern loyale Genosse wird ein Opfer von Kämpfen um die korrekte politische Linie. Derartige Dispute tragen oftmals in jenen Jahren sehr sektiererische Züge. Seit 1925 ist Ernst Thälmann als bedingungsloser Gefolgsmann der Stalin-Direktiven aus Moskau KPD-Vorsitzender. Abgelöst hat er die ultralinke Führung von Ruth Fischer und Arkadi Maslow. Auf allen Parteiebenen toben unvermindert Kämpfe völlig unterschiedlicher Linien, deren Opfer auch der Osnabrücker Ludwig Landwehr gewesen ist. Offiziell wird er „wegen parteischädigenden Verhaltens“ ausgeschlossen.
1929 gelingt es ihm allerdings, wieder in seine alte Partei aufgenommen zu werden. Die KPD hat sich inzwischen von zahlreichen innerparteilichen Strömungen – darunter sind „Rechte“, die ein Bündnis mit der SPD anstreben wie auch Ultralinke – getrennt. Die KPD ist in jener Zeit längst nicht mehr eine Partei mit innerparteilicher Demokratie, die sie zu Anfang gewesen war. Disziplin und Abnicken der Direktiven von oben gehören inzwischen zum Selbstverständnis. Ab 1925 ist die KPD von der völlig auf Josef Stalin eingeschworenen Komintern systematisch durchdrungen. Gefragt sind weniger kritische Geister, sondern treu ergebene und mittelmäßige Ja-Sager, die dann in einflussreiche Positionen kommen. Wie in der sowjetischen, dort diktatorisch regierenden KP werden bis Ende der 20er Jahre auch in der KPD viele „linke“ und „rechte“ Kritiker ausgeschlossen oder mundtot gemacht. Dennoch müssen auch die verbliebenen Kommunistinnen und Kommunisten Courage zeigen, um im privaten wie beruflichen Umfeld zu bestehen. Disziplin und Solidarität helfen, beisammen zu bleiben.
Damit vertritt auch der disziplinierte und führungsloyale Landwehr jede einzelne von Stalin und Thälmann vorgegebene Linie. Nach einer dieser Vorgaben sind Sozialdemokraten in Wahrheit „Sozialfaschisten“, was jede ernsthafte Zusammenarbeit für die Folgejahre unmöglich macht. Bestärkt wird die KPD-Linie im Wiedereintrittsjahr Landwehrs allerdings durch die Geschehnisse des „Blutmai“ in Berlin. Der SPD-Polizeipräsident Karl Zörgiebel hatte am 1. Mai ein Blutbad unter demonstrierenden kommunistischen Arbeiterinnen und Arbeitern anrichten lassen. Auch in Osnabrücker Debatten, die ganze Arbeiterfamilien innerlich zerreißen, sind „Sozialfaschismus“ wie „Blutmai“ recht häufig ein zentrales Thema.
Ludwig Landwehr macht sich unterdessen in Osnabrück, oft über Parteigrenzen hinaus, immer mehr einen Namen. Zunehmend gilt er als vorzüglicher und rhetorisch brillanter Redner. Er scheut kaum eine Gelegenheit, bei konkurrierenden Parteiversammlungen aufzutreten und seine Sichtweisen vorzutragen. 1932 wird er KPD-Unterbezirksleiter. In jenem Jahr ist die reichsweite KPD ein bedeutender Faktor. Sie zählt über 300.000 Mitglieder und verfügt über rund sechs Millionen Wählerinnen und Wähler.
Widerstand und Verhaftungen unter der Nazi-Herrschaft
Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wird, sind die Tage der Republik schnell gezählt. Dem Reichstagsbrand am 27. Februar folgt die totale Kriminalisierung der KPD. Auch zunehmend mehr Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen stehen auf den Fahndungslisten der deutschen Faschisten. Am 22. März 1933 werden gegen Ludwig Landwehr Ermittlungen wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ aufgenommen. Im Juni 1933 wird er verhaftet und im November 1933 vom Sondergericht Hamm zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Im September 1934 wird er aus dem Gerichtsgefängnis Weener entlassen. Zwischendurch versteht er es immer wieder, in konspirativen Gruppen Widerstand zu leisten. Bis kurz vor seinem Tode im Jahre 1981 berichtet er über äußerst fantasievolle Aktionen. Hervorgehoben wird beispielsweise die Funktionalisierung eines unter Druck gesetzten Fabrikschornsteins, um von dessen luftigem Ausgang aus winzig kleine und leichte Flugblätter gegen die Nazis „regnen“ zu lassen. Eine andere, von Landwehr stets genüsslich nacherzählte Aktion handelt von einem Koffer. Dieser besitzt keinen normalen Boden, sondern eine Art Stempel mit weißer Farbe. In unbeobachteten Momenten stellt der „Kofferreisende“ diesen ab, zieht sich unauffällig zurück und hinterlässt in deutlich weißer Schrift einen kurzen Appell gegen die Nazi-Diktatur.
Um weniger observierten Widerstand leisten zu können, zieht Landwehr 1935 nach Stuttgart. Im gleichen Jahr betätigt er sich aktiv, aber erfolglos im Widerstand gegen die Eingliederung des Saargebiets in das Deutsche Reich. Zu Kriegsbeginn 1939 wird er erneut verhaftet und nun für mehr als sechs Jahre ins KZ Buchenwald gebracht. Von Beginn an engagiert er sich dort, soweit möglich, gemeinsam mit Gleichgesinnten. Schnell zählt der Osnabrücker zum illegalen, aber wirkungsvoll agierenden „Internationalen Lagerkomitee“. Fast selbstverständlich ist, dass er wie andere ehemalige Kommunisten und Sozialdemokraten Mitorganisator des „Schwurs von Buchenwald“ ist. Angehörige beider Arbeiterparteien geloben, fortan alte Spaltereien zu überwinden und gemeinsam gegen Kapitalismus und Faschismus zu kämpfen.
Erst 1945 wird er dort, wie die anderen Gefangenen, auch mit Hilfe eines selbst organisierten Aufstands befreit.
Pionier des Wideraufbaus
Im August 1945 wird der heimgekehrte Ludwig Landwehr mit der Einrichtung und Leitung einer Abteilung Wohnungsbau bei der Stadtverwaltung Osnabrück beauftragt. Von 1945 bis 1946 ist er Abteilungsleiter für den Wiederaufbau zerstörter Wohnungen beim örtlichen Stadtbauamt. In den ersten Monaten des Wiederaufbaus ist er ebenso führend dabei, ehemaligen NS-Opfern im Rahmen eines Entschädigungsausschusses Hilfen zu gewähren und sie mitsamt ihren Familien auch bei der Wohnraumvermittlung zu unterstützen. Später wird Landwehr allerdings wegen eines Verbotes von politischer Tätigkeit von Beamten zur Aufgabe seiner Stelle in der Abteilung Wohnungsbau gezwungen.
Wieder einmal verlässt er kurzzeitig Osnabrück. Er wird Leiter der Wirtschafts- und Kommunalabteilung der KPD für den Regierungsbezirk Braunschweig. Dem nach dem Zweiten Weltkrieg ernannten Hannoverschen Landtag gehört er darüber hinaus zunächst vom 23. August 1946 bis zum 29. Oktober 1946 an.
Auch danach besetzt er in den ersten drei Wahlperioden als gewählter Abgeordneter ein Landtagsmandat. Vom 3. November 1947 bis zum 5. Mai 1959 ist er „MdL“. In der ersten Wahlperiode ist er außerdem stellvertretender Vorsitzender der KPD-Landtagsfraktion.
Legendär wird Landwehrs Kampf gegen die Demontage von Industriegütern, um heimische Arbeitsplätze zu erhalten. Als Mitglied des Bezirkslandtages kann er erreichen, was viele in jener Zeit für aussichtslos gehalten haben: In zähen Verhandlungen werden die Besatzer Osnabrücks davon überzeugt, wichtige Abteilungen des Osnabrücker Eisen- und Stahlwerks nicht zu demontieren. Als Landtagsabgeordneter wird Landwehr sogar so leidenschaftlich für Arbeitsplätze der Beschäftigten in Salzgitter streiten, dass er anno 1950 vom Obersten Britischen Militärgericht zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt wird. Anlass dazu sind drei Zeitungsartikeln in der KPD-Zeitung „Die Wahrheit“.
KPD-Verbot: Landwehr wird auch für Adenauer zum „Kriminellen“
Das KPD-Verbot vom 17. August 1956 ist der Höhepunkt einer Politik der Regierung des Bundeskanzlers Konrad Adenauer, die neue Bundesrepublik möglichst ohne Widerstand und unter Beteiligung etlicher Alt-Nazis als antikommunistisches Bollwerk aufzubauen. Die BRD ist die einzige westliche Demokratie, in der auf Betreiben einer nationalen Regierung eine kommunistische Partei verboten wird. Hunderttausende alter Nazis gelangen zu gleicher Zeit wieder in ihre alten Führungspositionen in Wirtschaft, Justiz, Verwaltung, Bildungswesen und frisch gegründeter Armee. Selbst die SPD erfährt durch die Adenauer-Regierung eine geheimdienstliche Beobachtung.
Auf Weisung der Regierenden werden 215 Parteibüros und 35 Druckereien, Verlage und Redaktionen der Kommunistischen Partei konfisziert. Gegen vermeintliche Mitglieder und Sympathisanten leiten bundesdeutsche Staatsanwälte bis 1968 insgesamt 125.000 Ermittlungsverfahren ein. Mindestens 6.000 bis 7.000 Angeklagte werden verurteilt, rund ein Drittel zu Gefängnisstrafen von mehr als neun Monaten, die ausdrücklich nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei leitenden Parteimitgliedern, auch Redakteuren kommunistischer und anderer linker Zeitungen, sind es oftmals zwei bis drei Jahre Haft. Selbst junge Menschen mit kommunistischer Gesinnung – die späteren Osnabrücker Erwin und Marianne Semnet zählen dazu – kommen mindestens ein Jahr in Haft. Dabei agiert jahrelang eine echte Gesinnungsjustiz, die gnadenlos gegen Linke vorgeht und bei Rechten und Ex-Nazis beide Augen zudrückt. Ungezählt sind jene Richter und Staatsanwälte, die schon unter Hitler Kommunisten ins Gefängnis gebracht haben. Der Kommunistin Marianne Semnet passiert es sogar, dass sie der Staatsanwalt höchstpersönlich in seinem Beisein ins Gefängnis chauffieren lässt und ihr dabei stolz eröffnet, vor 1945 auch schon ihren Vater hinter Stacheldraht gebracht zu haben.
Als „parteiloser“ Abgeordneter darf Landwehr bis Ende der 50er-Jahre – seine Partei war zuletzt auf 1,3% geschrumpft und zählt mit ihm nur noch zwei Mandatsträger – bis Ender der 50er-Jahre im Niedersächsischen Landtag verbleiben. Dafür wird er journalistisch noch aktiver als zuvor: Jahrelang ist er Herausgeber der Monatszeitung „Parlamentarische Nachrichten“.
Der unbeugsame Kampf des Osnabrücker Kommunisten gegen braunes Gedankengut geht trotzdem unverändert weiter. Er wird 1958 Vorsitzender der niedersächsischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und außerdem Mitglied des Internationalen Buchenwaldkomitees. Derartige Aktivitäten schützen den couragierten Antifaschisten keinesfalls vor weiteren Verfolgungen. 1962 wird er auf Ersuchen Adenauer-treuer Ermittler drei Monate in Untersuchungshaft genommen.
Besonders der Kampf gegen wiedererstarkte Rechte in Roben von Richtern und Staatsanwälten bleibt Ludwig Landwehr ein Herzensanliegen. 1962 startet er eine Kampagne gegen Wolfgang Otto, den er auf Grund der Aussage des ehemaligen Buchenwaldhäftlings Marian Zgoda des Mordes an Ernst Thälmanns bezichtigt. Vielbeachtet ist eine der Schriften, die Landwehr persönlich verfasst. Die Publikation trägt den Titel „Recht und Richter“ und erscheint in Osnabrück im Jahre 1961.
In die gleiche offene Wunde der Adenauer-Republik trifft die Landwehr-Schrift „NS-Juristen in Niedersachsen – Namenskatalog, Urteile, Personalakten“. Herausgegeben hat er sie für die VVN, erschienen ist alles im Hannover des Jahres 1964.
Schon zuvor ist es Landwehr ein Herzensanliegen, auf Konsequenzen der bundesdeutschen Wiederbewaffnung hinzuweisen. „Alarmierende Tatsachen – Eine Dokumentation über die Verfolgung von Atomkriegsgegnern und Antifaschisten“ erscheint 1961 in seiner Heimatstadt.
Schritte zur Legalisierung
Erst mit dem Eintritt der SPD in eine Bundesregierung ab 1966 gelingt es mühsam, kommunistische Politik in Westdeutschland endlich wieder auf eine legale Basis zu stellen. Insbesondere der Justizminister und Sozialdemokrat Gustav Heinemann erwirbt sich für diesen Akt europäischer Normalität große Verdienste.
Trotzdem verläuft alles noch mehr als zäh. Eine im Oktober 1966 geplante Pressekonferenz, in der Landwehr Dokumente vorstellen möchte, die dem Bundespräsidenten Heinrich Lübke die Beteiligung am Bau von Konzentrationslagern nachweisen sollen, wird polizeilich mit der Begründung verboten, dass damit die verbotene KPD hätte gefördert werden sollen.
Eine von Landwehr einberufenen Pressekonferenz am 8. Februar 1968 im Frankfurter Hotel „Hamburger Hof“ soll einen Programmentwurf einer neuen KPD vorstellen. Die Pressekonferenz wird allerdings aufgelöst. Bewirkt hat dies der Frankfurter Polizeipräsident auf Anordnung des hessischen Innenministers, der wiederum nach Ersuchen des Bundesinnenministeriums wegen Förderung der Ziele der verbotenen KPD tätig geworden ist.
Im gleichen Jahr wird am Ende zwar nicht die alte KPD, sondern eine „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) neu zugelassen. Im Wesentlichen verfolgt sie die gleichen Ziele. Landwehr wirkt später im Parteivorstand der DKP mit und wird im hohen Alter wiederholt als DKP-Vertreter auftreten. Noch häufiger spricht er allerdings als Vertreter der VVN, denen auch der Autor dieses Artikels zuweilen persönlich beiwohnen durfte. Gleiches trifft auf weitere Themen in den 70er-Jahren zu, die ebenfalls Landwehr auf den Plan rufen. Hier stehen der faschistische, von CIA und Kissinger unterstützte Putsch in Chile von 1973 sowie der Kampf gegen Neonazis, nicht zuletzt der um Abrüstung und Völkerverständigung im Mittelpunkt.
Unvergesslich bleiben bis kurz vor seinem Tode besonders jene Auftritte, in denen der Altkommunist, zuweilen durchaus verschmitzt und ironisch, von Geschehnissen aus seinem Leben berichtet. Auf die Frage, wie er jenes in wenigen Worten beschreiben soll, antwortete er lächelnd mit den Worten: „Ach, interessant war es eigentlich immer.“
Artikel des ILEX-Kreises zum „Braunen Haus“
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