Donnerstag, 2. Mai 2024

Osnabrücker Schulterschluss gegen RECHTS

Rekordzahl zur Kundgebung
Auschwitz-Gedenken im Stadion
und Abschluss-Demo zu „rechten Orten“

Nie zuvor fand ein Auschwitz-Gedenktag am 27. Januar in Osnabrück dermaßen viel Resonanz: Kundgebung im Schlossgarten, Manifestation im Stadion Bremer Brücke, Demo-Start vor dem Theater. Gleich drei unterschiedliche Formate sorgten für einen „Osnabrücker Dreiklang“, mit dem am Holocaust-Gedenktag wahrscheinlich nur die Friedensstadt an der Hase aufwarten konnte. Eindrucksvoll war ab 10:30 Uhr vor allem die Kundgebung eines breiten Bündnisses, das bis zu 30.000 Menschen in die grüne Lunge der Innenstadt zog. Fast 16.000 im Publikum beim Auschwitz-Gedenken im Rund der Bremer Brücke und etwa 2.500 Demonstrierende am Nachmittag ab 16 Uhr rundeten das Geschehen ab. Da selbst das mehrwöchig erlittene Osnabrücker Schietwetter vor der Sonne kapituliert hatte, stand dem Gelingen des Osnabrücker Dreiklangs nichts mehr im Wege.


Gestresster Rasen – bewegende Worte

Besorgte Minen zeigten am Morgen im Schlossgarten höchstens die Mitarbeitenden des städtischen Servicebetriebes. Dessen Prachtrasen hatte nämlich einiges zu leiden. Dafür war die Stimmung beim restlichen Publikum umso besser. Bereits ab 10 Uhr, die Ordner-Binden waren vom Orga-Team um Melora Felsch gerade frisch verteilt worden, sorgten die Klänge der Blues Company um Tosho Todorovic für einen perfekten atmosphärischen Einstieg. Tosho wäre nicht Tosho, wenn die Blues-Töne ohne passenden Kommentar erklungen wären: „Der Kampf gegen Rechts eint uns alle. Uns fünf hier besonders. Wir haben alle einen Migrationshintergrund und sollen hier nach den sogenannten Remigrationsplänen der Braunen verschwinden.“

Inhaltlich wie prägnant ging es auch dank einer souveränen Moderation durch Mitorganisatorin Lara Rahe weiter. Sorgen nachdenklicher Menschen aus dem Vorbereitungsteam, zu viele Reden könnten womöglich langweilen, entpuppten sich als unbegründet: Alle Beiträge wirkten zeitlich gestrafft, inhaltlich prägnant und gut aufeinander abgestimmt.

Den Anfang setzte Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter. „Diese tolle Beteiligung zeigt: Wir Demokratinnen und Demokraten bilden in diesem Land die Mehrheit. Und wir alle werden dafür sorgen, dass das auch so bleibt“, versprach die Oberbürgermeisterin. Gegen die durch Rechtsextremisten drohende Menschenfeindlichkeit setzte Landrätin Anna Kebschull auf das genaue Gegenteil dazu: „Hass, Hetze und Ausgrenzung haben bei uns keinen Platz. Wir sind bunt, wir sind vielfältig.“


Fahimi: „Aus der Geschichte lernen!“

Die am weitesten angereiste Rednerin des Tages war die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG), Yasmin Fahimi. Dass sie ihren persönlichen, einen Migrationshintergrund dokumentierenden Namen vorab besonders betonte, machte deutlich, welch fatale Konsequenzen die von Rechtskräften beabsichtigte Massendeportationen von Menschen mit migrantischem Hintergrund hätte. Danach ging Fahimi insbesondere auf historische Erfahrungen ein, die deutsche Gewerkschaften zwischen 1933 und 1945 machen mussten: „Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden nach dem Verbot ihrer Organisationen verfolgt, vielfach in Konzentrationslager gesperrt und oft ermordet. Jede Form von Solidarität, ein Grundwert gewerkschaftlichen Handelns, wurde zerstört und durch Hetze gegen andere ersetzt. So etwas darf nie wieder geschehen!“ Auch zu besagten, von AfD- wie Neonazi-Vertretern verfolgten Plänen der „Remigration“ sah Fahimi historische Parallelen: „Das sind ekelhafte, menschenverachtende Säuberungsfantasien, wie wir sie aus der Nazizeit kennen.“

11:30 Uhr zeigte das Ziffernblatt der Uhr, als eine Schweigeminute für eine nachdenklich stimmende Ruhepause sorgte. Erinnert wurde im stillen Gedenken an die Befreiung des KZ Auschwitz vor nunmehr 79 Jahren, in dem bis zu ihrer Befreiung durch die Sowjetarmee mehr als eine Million Menschen von Nationalsozialisten mit bestialischen Methoden ermordet worden waren.


Pistorius: „Kreide fressende Wölfe im Schafspelz“

Osnabrücks früherer Oberbürgermeister und jetziger Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nahm in Bezug auf die AfD ebenfalls kein Blatt vor den Mund.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zitierte der den ersten Absatz des Grundgesetzes. „Neonazis, Rechtsextremisten und die AfD wollen der Demokratie ans Leder. Statt Menschenwürde wollen sie nichts anderes als zurück in die dunklen Zeiten des Rassenwahns, der Diskriminierung, der Ungleichheit und des Unrechts. Der gerichtlich zertifizierte Faschist Björn Höcke, Chef der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, der ja Ministerpräsident werden will, hat das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ‚Denkmal der Schande‘ bezeichnet. Dieser Mann zeigt das Gesicht der AfD und nicht das Antlitz Kreide fressender Wölfe im Schafspelz“, zog der Bundesminister einen Vergleich des Genannten gegenüber offiziellen AfD-Vertretern, deren abschwächende Sätze auch Osnabrücker Talkshow-Betrachtern offenkundig bekannt sind. Zur „Remigration“ der AfD fand der Ex-OB vor allem diese Bemerkung: „Diese Leute planen die Deportation von Millionen von Menschen aus unserer Mitte – das sind für mich auch die Kinder, mit denen ich im Schinkel aufgewachsen bin.“

Dass man aktuell viel in die richtige Richtung bewegen könne, zeigt nach Pistorius das Beispiel Osnabrücks, der „schönsten Stadt Deutschlands“. Hier habe man bereits sehr früh in den Siebzigern, besonders ausgeprägt in den Neunzigern, Modellhaftes für die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund getan und beispielsweise Beiräte des Stadtrats geschaffen.


Persönliche Betroffenheit

Yassin und Büsra Kabaktepe, beide engagiert im Verein EXIL, stellten auch mit persönlichen Bezügen dar, was es heißt, als Mensch mit Migrationshintergrund im Fall einer Machtübernahme der deutschen Rechten durch sogenannte Remigration aus Deutschland, also aus ihrer Heimat, ausgewiesen zu werden. Annahita Maghsodi wies überzeugend darauf hin, welch wichtige Arbeit im Migrationsbeirat geleistet wird. Dem Gremium des Rates gehören 16 Ehrenamtliche an, die den Zielsetzungen des Beirats gerecht werden und die kulturelle Vielfalt der Bevölkerung widerspiegeln. Außerdem entsendet jede im Rat vertretene Partei einen Vertreter oder eine Vertreterin.

Besonders eindrucksvoll belegte diese Angst der erst zehnjährige Grundschüler Samro, der aus einer Familie mit syrischen Wurzeln stammt. „Hier leben meine Freunde und ich liebe dieses Land genauso wie meine Kultur“, sagte Amro nicht nur im perfekten Deutsch, sondern auch akzentuiert und damit herzbewegend auf den Punkt gebracht.

Oma mit Blick über den Tellerrand

Pendant zum Beitrag des jungen Amro war die Ansprache von Heike Tennstädt, Sprecherin der Initiative „OMAS GEGEN RECHTS“. Wie in keinem anderen Beitrag wies Tennstädt auf die internationale Dimension hin, welche die faschistische Gefahr derzeit ausmache. Wörtlich:

„Überall, oft in traditionsreichen Demokratien, versuchen Faschisten und Nationalisten, vielfach im engen Schulterschluss mit Rechtskonservativen und Neoliberalen, die Macht zu übernehmen. In Schweden, in Finnland, in Ungarn, im Nicht-EU-Land Türkei, vor allem in Italien ist das schon passiert. In Spanien ist es gerade hauchdünn verhindert worden. In den Niederlanden, vielleicht auch in Österreich droht uns das. In Frankreich stellen die Rechtsextremisten aktuell mit Abstand die stimmenstärkste Partei – und könnten mit Ex-Gaullisten womöglich eine Mehrheit gewinnen. Und Trumps Diktatur-Drohungen lassen uns alle, vor allem für die USA, das Schlimmste befürchten.“

Nicht ganz von Harmonie getragen war anschließend der Beitrag einer Vertreterin des Bündnisses „Den Rechten die Räume nehmen“. Ins Visier genommen wurde dabei insbesondere die Asylpolitik der Union wie der drei Ampel-Parteien, was deren antifaschistisches Engagement aus Sicht der Rednerin deutlich schmälere, sogar unglaubwürdig mache.

Positiv machte aber auch dieser kritische Akzent klar, wie breit das Osnabrücker Bündnis – von CDU und FDP bis hin zur Antifa-Szene – während der Kundgebung war. Man hörte sich zu und besaß zumindest einen gemeinsamen Gegner. Es oblag Moderatorin Lara Rahe, die wichtigsten Aussagen der Kundgebung in wenigen Abschlusssätzen zusammenzufassen:

„Vor uns liegt ein weiter Weg. Wir sind überzeugt davon, dass uns viel mehr verbindet als trennt. Deshalb laden wir alle ein, diesen Weg gemeinsam gehen und uns miteinander unermüdlich und solidarisch für Antifaschismus, Demokratie, Menschenrechte und Zusammenhalt stark zu machen.“

Für ein besonderes Finale der Kundgebung hatte das Organisationsteam Sara und Joy vom Verein EXIL gewinnen können. Gekonnt stimmten beide das bereits aus alten Anti-AKW-Kampagnen beliebte Lied „Wehrt euch, leistet Widerstand“ an.  Diesmal natürlich ergänzt mit „gegen den Faschismus hier im Land.“ Etliche sangen eifrig mit.


VfL übernimmt nächsten Part

Unzählige Menschen aus dem Kundgebungspublikum hatten mit lila-weißem Schal, Fahnen oder gar Transparenten deutlich angedeutet, wo die nächste Station des Auschwitz-Gedenkens zu finden war. Denn insbesondere der Fußball spielt in Osnabrück bekanntlich im Kampf gegen Rechts eine besondere Rolle, was auch der kürzlich in der OR dokumentierte Auftaktkongress der deutschen „!Nie-wieder-Initiative“ dokumentiert hat.

Ziel war bereits vor dem Anstoß um 13:00 Uhr das VfL-Stadion an der Bremer Brücke. Den Rahmen dazu bildete das Programm vor dem Anpfiff. Prominenter Gast, der die Rolle des „Nie wieder!“ für den deutschen Fußball betonte, war DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Zu ihm gesellten sich Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter sowie Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, die beide direkt von der Kundgebung im Schlosspark in das Rund des Stadions gefunden hatten. Pötter wie Pistorius sprachen sich mit markanten Sätzen einmal mehr gegen Rechtsextremismus und Ausgrenzung aus. Verlesen wurde daneben, wie nahezu in jedem Jahr der jüngsten Zeit, die bundesweite Erklärung des nationalen „!Nie wieder“-Bündnisses, der in nahezu allen bedeutenden Stadien vorgetragen wird.

Ein besonderer Akzent kam erwartungsgemäß von der Ultra-Gruppe „Violet Crew“. Man zeigte, unten in der Oskurve ein langes Transparent, das an das Schicksal seinerzeit diskriminierter Menschen wie Felix Löwenstein (umgekommen 1945 im KZ Sandbostel) hinwies. Text: „Man kann Unrecht nicht ungeschehen machen. Aber man kann es sich eingestehen. Für die Wiederaufnahme aller in der NS-Zeit zu Unrecht ausgeschlossenen Mitglieder.“


Demo um 16:00 Uhr

Entsprachen kritische Akzente des Bündnisses „Den Rechten die Räume nehmen“ am Morgen noch einer Minderheitenposition, gewannen sie bei der abschließenden Demonstration eine deutlich höhere Bedeutung. Motto des Ganzen: „Alle zusammen gegen den Faschismus“. Offenkundig gab es sowohl bei genannten Zusammenschluss wie beim Osnabrücker Jugendbündnis das Bedürfnis, nicht Gemeinsamkeiten gegen Rechts, sondern das Trennende in den Vordergrund zu rücken. Wie sinnig eine solche Frontstellung ist, mögen Lesende dieses Beitrags selbst entscheiden.

Der Stimmung des Zugs tat diese Akzentsetzung allerdings nur wenig Abbruch.  Offenkundig besaßen vor allem junge Menschen zur Abrundung des Tages das tief sitzende Bedürfnis, nach dem Zuhören  am Morgen und dem anschließenden, eher mäßigen VfL-Spiel, die eigene Meinung gegen Rechts auch mit einer Demonstration auf eigenen Füßen zu untermauern. Es dürften rund 2.500 Teilnehmende gewesen sein, die Polizei schätzte die Zahl auf gut 2.000. Unterwegs wurde auch vor einem Stopp vor dem Burschenschaftsgebäude der Arcadia Mitweide nicht zurückgeschreckt. Grund: Die „Schlagende Verbindung“ unterhält offenkundig enge Bindungen zu den „Jungen Alternativen“ der AfD – und ist seit Jahrzehnten bekannt für nationalistische Rituale. Sprechchöre vor dem Haus dokumentierten den Willen der Demonstrierenden, die Burschenschaft als feste Adresse für die rechte Szene der Stadt auch weiter penibel im Auge zu behalten.

Ein weiterer spektakulärer Stopp fand vor dem griechischen Restaurant Pontos am Hauswöhrmannsweg statt. Deren Betreibern wird vorgeworfen, immer häufiger eigene Räumlichkeiten für AfD-Zusammenkünfte zu vermieten. Dass so etwas insbesondere dem Bündnis „Den Rechten die Räume nehmen“ zuwider ist, liegt in der Natur der Sache.

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